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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition)
Autoren: Dave Eggers
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ihm zugänglich war – Fischer, Takler, Anstreicher, Zimmermann, Maurer, Klempner, Dachdecker, Fliesenleger, sogar Automechaniker.
    Zeitouns Lebensweg hätte seinen Vater wahrscheinlich mit Stolz erfüllt und zugleich auch verwirrt. Er hatte nicht gewollt, dass seine Kinder auf dem Meer arbeiteten, aber viele von ihnen, einschließlich Zeitoun, taten es dennoch. Mahmoud wollte, dass seine Kinder Ärzte wurden, Lehrer. Doch Zeitoun war seinem Vater zu ähnlich: erst Seemann, dann, um für seine Familie zu sorgen und sicherzugehen, dass er lange genug leben würde, um seine Kinder aufwachsen zu sehen, selbstständiger Handwerker.
    Um elf Uhr rief Zeitoun Kathy an. Er hatte das verklebte Fenster in Broadmoor geöffnet und war jetzt im Baumarkt.
    »Hast du was Neues gehört?«, fragte er.
    »Sieht schlimm aus«, sagte sie.
    Sie war online. Das National Hurricane Center hatte Katrina auf Kategorie 2 hochgestuft. Nach neuesten Berechnungen bewegte sich der Sturm nun nicht mehr auf Westflorida zu, sondern auf die Küstenregionen von Mississippi und Louisiana. Derzeit überquerte der Hurrikan den Süden Floridas mit Windgeschwindigkeiten von neunzig Meilen die Stunde. Mindestens drei Menschen waren zu Tode gekommen. 1,3 Millionen Haushalte waren ohne Strom.
    »Die Leute hier sind beunruhigt«, sagte Zeitoun und sah sich im Baumarkt um. »Viele kaufen Sperrholz.« Die Schlangen waren lang. Plastikplanen, Klebeband, Seile – alles, womit sich Fenster vor dem Wind schützen ließen, war so gut wie ausverkauft.
    »Ich bleib am Ball«, sagte Kathy.
    Auf dem Parkplatz blickte Zeitoun zum Himmel und suchte nach Anzeichen dafür, wie das Wetter würde. Er entdeckte nichts Ungewöhnliches. Als er seinen Einkaufswagen zum Transporter schob, kam ein junger Mann mit einem vollen Einkaufswagen auf ihn zu.
    »Wie läuft das Geschäft?«, fragte der Mann.
    Vermutlich ein Elektriker, dachte Zeitoun.
    »Nicht schlecht«, sagte Zeitoun. »Und bei Ihnen?«
    »Könnte besser sein«, sagte er und stellte sich vor. Er war tatsächlich Elektriker. Sein Wagen parkte neben Zeitouns, und er fing an, Zeitoun beim Einladen der Einkäufe zu helfen. »Wenn Sie mal jemanden brauchen«, sagte er, »ich bin zuverlässig, und ich bringe zu Ende, was ich angefangen habe.« Er reichte Zeitoun seine Karte. Sie gaben sich die Hand, und der Elektriker stieg in seinen Van, der, wie Zeitoun auffiel, in einem besseren Zustand war als sein eigener.
    »Wozu brauchen Sie mich?«, fragte Zeitoun. »Ihr Transporter ist neuer als meiner.«
    Sie lachten beide, Zeitoun legte die Karte aufs Armaturenbrett und fuhr los. Er würde den jungen Mann anrufen, dachte er, früher oder später. Elektriker konnte er immer gebrauchen, und ihm gefiel die Art, wie der Mann auf Kundenfang ging.
    Elf Jahre zuvor, als er angefangen hatte, in New Orleans zu arbeiten, schuftete Zeitoun für so ziemlich jeden Handwerksbetrieb in der Stadt – als Anstreicher, Trockenbauer, Fliesenleger, alles, was gebraucht wurde –, bis er von einem Mann namens Charlie Saucier angeheuert wurde. Charlie hatte aus dem Nichts einen eigenen Betrieb aufgebaut. Er war wohlhabend geworden und hoffte, sich zur Ruhe setzen zu können, ehe seine Knie endgültig kaputt waren.
    Charlie hatte einen Sohn von knapp zwanzig Jahren, und es war sein sehnlichster Wunsch, den Betrieb an diesen Sohn zu übergeben. Er liebte seinen Sohn, aber der war ein Müßiggänger, durchtrieben und undankbar. Er kam häufig nicht zur Arbeit, und wenn doch, arbeitete er lustlos und behandelte die Beschäftigten seines Vaters herablassend.
    Damals hatte Zeitoun noch kein Auto, daher fuhr er mit dem Fahrrad zu Charlies Baustellen – einem Zehn-Gang-Rad, das er für vierzig Dollar gekauft hatte. Eines Tages, als Zeitoun ohnehin schon spät dran war, platzte ihm auf der Fahrt zur Arbeit ein Reifen. Nachdem er eine halbe Meile auf der Felge weitergefahren war, gab er auf. Er musste vier Meilen in zwanzig Minuten quer durch die Stadt schaffen, und es sah so aus, als würde er zum ersten Mal im Leben zu spät zur Arbeit kommen. Er konnte das Fahrrad nicht einfach stehen lassen und laufen – er brauchte das Rad schließlich noch –, und er konnte mit dem platten Reifen nicht fahren, daher hängte er sich das Rad über die Schulter und trabte los. Er hatte Panik. Wenn er zu spät zur Baustelle kam, wie würde sich das auf seinen Ruf auswirken? Charlie wäre enttäuscht und würde ihn vielleicht nicht noch einmal anheuern. Und was, wenn Charlie
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