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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition)
Autoren: Dave Eggers
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und langsam. Ich beobachte ihn über Satellit«, sagte er.
    Ahmad war ein Technikfan. Beruflich und privat befasste er sich intensiv mit dem Wetter, mit aufziehenden Stürmen. Derzeit war er zu Hause in Málaga und verfolgte in seinem chaotischen Arbeitszimmer, wie der Sturm über Florida zog.
    »Hat man schon mit der Evakuierung begonnen?«, fragte Ahmad.
    »Nicht offiziell«, sagte Zeitoun. »Ein paar Leute verlassen die Stadt.«
    »Was ist mit Kathy und den Kindern?«
    Zeitoun erwiderte, dass sie noch nicht darüber nachgedacht hatten.
    Ahmad seufzte. »Wieso geht ihr nicht, nur sicherheitshalber?«
    Zeitoun gab einen unverbindlichen Laut von sich.
    »Ich ruf dich wieder an«, sagte Ahmad.
    Zeitoun verließ das Haus und ging zu Fuß zur nächsten Baustelle, zwei Querstraßen weiter. Es kam häufig vor, dass sie mehrere Baustellen in derselben Gegend hatten. Die Kunden schienen überrascht, wenn ein Malerbetrieb oder eine Baufirma zuverlässig arbeitete. Sie empfahlen Zeitoun weiter, und aufgrund solcher Empfehlungen zog er oft in rascher Folge ein halbes Dutzend Aufträge in ein und demselben Viertel an Land.
    Das nächste Haus, an dem sein Betrieb seit Jahren arbeitete, lag direkt gegenüber von dem der Schriftstellerin Anne Rice – er hatte nichts von ihr gelesen, aber Kathy; Kathy las alles – und war eines der imposantesten und prachtvollsten Häuser in New Orleans. Hohe Decken, eine herrschaftliche Treppe, die von der Eingangshalle in den ersten Stock führte, alles handgeschnitzt, jeder Raum thematisch gestaltet und mit einem ganz eigenen Charakter. Zeitoun hatte inzwischen wahrscheinlich jedes Zimmer in diesem Haus mehrmals gestrichen, und die Eigentümer fanden kein Ende. Er war gern hier, bewunderte die Handwerkskunst, die ungeheure Sorgfalt, die in die exzentrischen Details und Verzierungen geflossen war – ein Wandbild über dem Kamin, auf jedem Balkon ein individuell gefertigtes schmiedeeisernes Geländer. Gerade dieser eigenwillige, zutiefst romantische Sinn für Schönheit – eine zerfallende und verblassende Schönheit, die ständiger Aufmerksamkeit bedurfte – machte diese Stadt zu so etwas Besonderem und zu einem unvergleichlichen Betätigungsfeld für einen Bauhandwerker.
    Er trat ein, zog die Abdeckplane in der Eingangshalle gerade und ging dann nach hinten durch. Er sah bei seinem bulgarischen Schreiner Georgi vorbei, der im Flur neue Zierleisten an der Decke anbrachte. Georgi war ein guter Mann, um die sechzig, breitschultrig und unermüdlich, doch Zeitoun hütete sich, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Wenn Georgi einmal loslegte, konnte man sich auf einen zwanzigminütigen Vortrag über die ehemalige Sowjetunion gefasst machen, über Häuser an der bulgarischen Küste und über seine zahlreichen Wohnmobilreisen mit seiner Frau Albena, die vor Jahren gestorben war und ihm noch immer schrecklich fehlte.
    Zeitoun stieg in seinen Transporter, und das Radio überfiel ihn mit weiteren Warnungen vor diesem Hurrikan namens Katrina. Er hatte sich zwei Tage zuvor unweit der Bahamas gebildet und Boote wie Spielzeug durch die Luft gewirbelt. Zeitoun nahm das zur Kenntnis, war aber nicht sonderlich beunruhigt. Der Sturm war noch immer viele Tage davon entfernt, sich in irgendeiner Weise auf sein Leben auszuwirken.
    Er fuhr zum Presbytere Museum am Jackson Square, wo ein weiteres seiner Teams schwierige Restaurierungsarbeiten an dem zweihundert Jahre alten Gebäude vornahm. Das Museum war früher einmal ein Gerichtsgebäude gewesen und beherbergte jetzt eine umfangreiche und außergewöhnliche Ausstellung zum Thema Mardi Gras. Der Auftrag war prestigeträchtig, und Zeitoun erwartete ausgezeichnete Arbeit.
    Kathy rief von zu Hause an. Gerade hatte sich ein Kunde aus dem Stadtteil Broadmoor gemeldet. Zeitouns Männer hatten eins seiner Fenster beim Streichen mit Farbe verklebt, und irgendjemand musste hinfahren, um es wieder zu öffnen.
    »Ich erledige das«, sagte er. So war es am einfachsten, dachte er. Er würde hinfahren, er würde es in Ordnung bringen, fertig. Weniger Anrufe, keine Warterei.
    »Hast du von dem Hurrikan gehört?«, sagte Kathy. »Schon drei Tote in Florida.«
    Zeitoun tat es ab. »Der Sturm ist kein Problem für uns«, sagte er.
    Kathy machte sich oft über Zeitouns Dickköpfigkeit lustig, über seinen Widerwillen, sich irgendwelchen Gewalten zu beugen, sogar den Naturgewalten. Aber Zeitoun konnte nicht anders. Er war im Schatten seines Vaters aufgewachsen, eines legendären
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