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Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Titel: Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Autoren: Eva Völler
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Rückblick kam es mir vor, als sei es bereits Jahre her, obwohl in Wahrheit nur vier Wochen vergangen waren.
    »Wir sind gleich da«, sagte José. Im Licht der Bootslaterne wirkte sein Gesicht mit der Augenklappe, als sei er soeben einer Sage entsprungen, um uns Sterblichen Gesellschaft zu leisten. Und wenn es wirklich so ist?, schoss es mir durch den Kopf. Vielleicht stammte er tatsächlich aus einer unerforschten Epoche voller Götter und Fabelwesen. So wie die alte Esperanza. Ob sie seine Gefährtin aus diesem fernen, unbekannten Zeitalter war?
    Unwillkürlich legte ich die Hand auf den Beutel an meinem Gürtel, bis ich die Umrisse der Katzenmaske und der kleinen Heiligenfigur tasten konnte, den Talisman des heiligen Sebastiano.
    »Es geht los«, sagte Sebastiano. Er setzte sich neben mich und legte den Arm um mich. Ich klammerte mich an ihn. Plötzlich hatte ich scheußliche Angst. Was, wenn er die Stunde der Entscheidung nicht überlebte und ich ihn niemals wiedersah?
    »Ich will nicht zurück«, entfuhr es mir.
    »Was?«, fragte er.
    »Ich will hierbleiben. Bei dir. Und mit dir zur Giudecca fahren. Du kannst mir zeigen, wie man mit dieser Arkebuse umgeht.«
    Über dem Bootsrand bildete sich eine silberne Linie.
    »Nicht!«, rief ich. »Lasst mich mitkommen! Mein Nacken würde jucken, wenn Gefahr droht! Ich kann euch rechtzeitig warnen!«
    »Es geht nicht, Anna.« Er legte seine Stirn gegen meine. Es klang bedauernd, doch das änderte nun auch nichts mehr. Die silberne Linie wurde rasch breiter und entfaltete ein blendendes Licht. Es wurde kalt und dann noch kälter. Um mich herum begann alles zu schwanken. Die dunklen Konturen der Häuser zu beiden Seiten des Canal Grande verschwammen. Das Fackellicht an den Ufern wurde von dem silbernen Gleißen aufgesogen und verschwand.
    Das Rütteln wurde immer heftiger, das Licht war überall – und dann kam der Knall. Gleichzeitig löste sich die Welt in Schwärze auf.

    Als ich zu mir kam, konnte ich nicht glauben, was ich sah. Ich hatte mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht damit. Laut Sebastiano hätte ich am helllichten Tag im Venedig auftauchen müssen, genauer gesagt im Jahr 2009, am Tag der Regata storica. Noch genauer: im selben Augenblick, in dem es mich zuvor in die Vergangenheit verschlagen hatte.
    Aber nun sah es ganz so aus, als wäre alles gründlich schiefgegangen. Von der Gondel war nichts zu sehen, geschweige denn von José oder Sebastiano.
    Ich war mutterseelenallein. Und nicht nur das: Ich befand mich in einer Umgebung, die mir völlig unbekannt war. Ich saß auf einer Art Schutthalde, welche inmitten einer Ruinenlandschaft lag. Wohin ich auch schaute, sah ich nur trostlose, verfallene Mauerreste. Bis zum Sonnenaufgang würde es noch eine Weile dauern, doch am Horizont zogen bereits die ersten Schleier des Morgengrauens herauf und auch der sinkende Vollmond verströmte genug fahles Licht, um mich das ganze Elend dieser Umgebung erkennen zu lassen. Nichts als Ruinen, so weit das Auge reichte. Eine menschenleere Einöde.
    In einiger Entfernung gluckerte es wie von einem fließenden Kanal und als ich genauer hinsah, bemerkte ich, wie zwischen den Ruinen hier und da dunkle Wasseroberflächen im Mondschein schimmern, an deren Rändern Sumpfgras wuchs.
    »Lieber Himmel!«, stieß ich hervor. Mit einem Mal wusste ich, was geschehen war. Ich war in Venedig gelandet, aber es war nicht mehr die Stadt, die ich kannte. Das, was wir hatten verhindern wollen, war bereits geschehen. Alvise hatte den Lauf der Zeit verändert. Er hatte Trevisan umgebracht und damit die Weichen für eine andere Zukunft gestellt. Eine Zukunft, in der Venedig von seinen Feinden dem Erdboden gleichgemacht worden war.
    Die Stunde der Entscheidung hatte Alvise den Sieg gebracht. Sebastiano … Vielleicht lebte er gar nicht mehr. Weder in der Vergangenheit noch sonst wo. Und mich würde dasselbe Schicksal treffen. Ich erinnerte mich noch genau an Sebastianos Worte. Es kommt vor, dass Reisende ganz einfach verschwinden  …
    Womöglich war es nur eine Frage von Augenblicken, bis die Zeit merkte, dass hier jemand hockte, der nicht ins Gefüge passte, und schwupps , wäre ich weg. Für immer.
    Ich stemmte mich so eilig hoch, dass ich mir dabei einen Nagel einriss. Ohne darauf zu achten, starrte ich in die Dämmerung, als könnte irgendwo da draußen im nächsten Moment ein Zeitloch aufgehen und mich auf Nimmerwiedersehen verschlingen.
    Panik erfasste mich. Mein Atem ging schwer in der
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