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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere
Autoren: Liza Klaussmann
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Stilllegung des Kriegsschiffs in Green Cove Springs ab. Sie sah seinen Körper vor sich, die blonden Härchen an den Armen, bedeckt von einer feinen Schicht dessen, was einst die Bordwand der U. S. S. Jacob Jones gewesen war. Sie stellte sich vor, wie er unter dem Wasserstrahl die Haare nach hinten klatschte und das Gesicht in den Sprühnebel hielt, so dass sich in seinen Wimpern wie in einer Spinnwebe zarte Tropfen verfingen. Ob er jetzt an sie dachte? Sie stellte sich die Frage nur flüchtig. Sie wusste, dass er es nicht tat.
    Das Cottage ließ sein Abendlied ertönen: das Rauschen des Wassers in den billigen Rohren und heiseren Jazz. Nick hasste das Cottage, seine Austauschbarkeit. Das gemietete Fertighaus war genau wie alle anderen Häuser – ein Kasten mit einer Küche und einem Schlafzimmer vorne und nach hinten hinaus einem großen Wohnzimmer mit Essecke und Fenstern, die auf eine Veranda gingen.
    Die Bungalows waren zu beiden Seiten eines staubigen Zufahrtswegs aufgereiht und jeweils durch ein eigenes Stück Land voneinander getrennt. Alle Küchen lagen an der Zufahrt, und zu jeder Tages- und Nachtzeit spähten mehrere wichtigtuerische Soldatenfrauen heraus. Nick hatte es sich angewöhnt, mindestens einmal am Tag im Badeanzug bis zur Zufahrt zu gehen, nur um zu beobachten, wie sich ein tuchumhüllter Kopf nach dem anderen hastig zurückzog, während sie die Damen fixierte. Wie in einem Spiel legte sie es mittlerweile darauf an, einen dieser getupften Köpfe beim Anblick ihres Badeanzugs erstarren zu lassen, der mit seinem »französischen«, hochgezogenen Beinausschnitt reichlich gewagt war. Es versüßte ihr den ganzen Tag.
    Alle Bungalows auf ihrer Seite hatten einen ziemlich großen Garten, der bis zu dem Salzwasserkanal reichte, den die Fischer von St. Augustine als Nebenstrecke benutzten und auf dem hin und wieder ein paar Kinder in Ruderbooten herumalberten.
    Ihr Bungalow aber hatte etwas, das den anderen fehlte: einen im Uferschlamm befestigten, bei jeder Bewegung des Wassers schaukelnden Schwimmsteg, der im Gegensatz zur restlichen Wohnsiedlung nicht die Hoffnung auf bessere Zeiten, auf ein neues Leben in billigen Kästen ausstrahlte, denn sein Holz, das wahrscheinlich von einer alten Hausverkleidung oder einer Bootsrampe stammte, war grau und verwittert. Nick liebte den Schwimmsteg wie nichts sonst in dieser Stadt in Florida. Wenn sie mit geschlossenen Augen darauflag, überkam sie manchmal das sichere Gefühl, die genagelten Bretter hätten sich aus ihrer weichen Verankerung gelöst und sie würde davontreiben, durch den Kanal hinaus aufs Meer und zurück nach Hause, zu ihrer Insel oben im Norden. Dann schlug sie die Lider auf und sah das hässliche Haus hinter dem Rasen und wusste, dass es nur ein vorbeifahrendes Fischerboot gewesen war, das den Steg zum Schwanken gebracht hatte.
    Dort draußen verbrachte Nick ihre Tage. Sie lag ausgestreckt in der Sonne Floridas, hörte sich die Schallplatten an, die in einem mit alten Zeitungen ausgepolsterten Koffer aus Cambridge gekommen waren, und versuchte ihre Nachbarinnen zu schockieren. Hin und wieder probierte sie neue Rezepte aus Prudence Pennys Regional-Kochbuch aus, das sie in der Stadt gekauft hatte. Es war in Kapitel unterteilt – die Küche der Pennsylvania-Deutschen, der Kreolen, der Mississippi-Anrainer, der Minnesota-Skandinavier sowie internationale Gerichte –, und man brauchte dafür Zutaten, deren gedruckte Namen sie immer wieder in Erstaunen versetzten.
    Bevor sie aus der Elm Street ausgezogen waren, hatten Nick und Helena ein kleines Feuer gemacht und ihre abgelaufenen Lebensmittelmarken verbrannt. Helena hatte immer Schwierigkeiten gehabt, den Lebensmitteln die richtigen Marken zuzuordnen, und war manchmal mit einer Dose tiefgefrorenem Spinat statt mit Hähnchenfleisch zurückgekommen, weil sie die Tage verwechselt hatte. Eine Zeitlang hatte Nick am Zwang zur Einschränkung Gefallen gefunden, doch dann war er ihr so lästig geworden, als müsste sie ein Puzzle zusammensetzen, bei dem ein Teil fehlte. Jetzt konnte sie kochen, was sie wollte, ohne sich um Ersatz kümmern zu müssen. Aber es fiel ihr schwer, sich an die Rezepte zu halten, und manchmal kapitulierte sie mitten während der Zubereitung von Austern Rockefeller oder eines Honigschinkens und legte sich zum Sonnen auf den Schwimmsteg. Danach machte sie aus den restlichen Zutaten eine Art Auflauf.
    Hughes sagte zwar nie etwas, aber ihre unausgegorene Kocherei brachte ihn
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