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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere
Autoren: Liza Klaussmann
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Lippenstift auf. Dann betrachtete sie sich im Spiegel. Ins linke Auge hing ihr eine dunkle Locke. Kurz bevor sie auf den Gang hinaustrat, fielen ihr die Handschuhe ein. Sie streifte sie über und schnupperte dabei noch einmal am Handgelenk. Dann schloss sie fest die Tür hinter sich.
    Kaum hatte sie den mit einer geschwungenen hölzernen Bar und niedrigen burgunderroten Sesseln ausgestatteten Salonwagen betreten, begann sich zwischen ihren Brüsten Schweiß zu sammeln. Sie fuhr sich mit dem Handschuh über die Oberlippe, bereute die Geste aber sofort. Ein Kellner kam auf sie zu und führte sie an einen freien Tisch. Sie bestellte einen Martini mit extra Oliven und fragte sich, ob man sie ihr berechnen würde. Sie zog den Filzvorhang zurück und starrte in die Nacht hinaus. Ihr Spiegelbild starrte zurück. Hinter ihrem Kopf erblickte sie einen Mann im blauen Blazer, der sie betrachtete. Sie versuchte zu erkennen, ob er gut aussah, doch ein vorbeifahrender Zug verwischte das Bild.
    Sie wandte sich vom Fenster ab, und als sie die Beine übereinanderschlug, spürte sie deutlich, wie sich die Nylonstrümpfe zwischen ihren Schenkeln verschoben. Der Kellner brachte ihren Drink. Als Nick ihm die Zigarette hinhielt, begann er nach seinem Feuerzeug zu kramen. Der Mann von der anderen Seite des Gangs sprang hinzu und ließ ein silbernes Zippo schnappen. Alle jungen Männer, die aus dem Krieg zurückgekommen waren, hatten ein Zippo, fast so, als wäre es zusammen mit den Uniformen ausgegeben worden.
    »Danke«, sagte Nick, den Blick auf die Zigarette geheftet.
    »Aber gern.«
    Der Kellner verschwand hinter einer Trennwand aus mattiertem Glas.
    »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«, fragte der Mann freiheraus.
    Nick deutete auf den Sitz, ohne den Blick zu heben. »Ich bleibe nicht lang.«
    »Wohin fahren Sie denn?«
    »Nach St. Augustine.«
    Er hatte das dunkle Haar mit Pomade nach hinten gekämmt. Er sah gut aus, fand sie, eher der Palm-Springs-Typ. Ein bisschen zu viel Eau de Cologne vielleicht.
    »Und ich nach Miami«, erklärte er. »Ich besuche meine Eltern in Miami.«
    »Wie schön für Sie.«
    »Ja.« Er lächelte Nick an. »Und Sie? Was führt Sie nach St. Augustine?«
    »Ein Bruder von mir ist dort. Er legt gerade sein Schiff still, und ich besuche ihn.«
    »Wie schön für ihn.«
    »Ja.« Diesmal erwiderte Nick sein Lächeln.
    »Ich bin Dennis.« Der Mann streckte ihr die Hand entgegen.
    »Helena«, sagte Nick.
    »Wie der Berg.«
    »Wie der Berg. Überaus originell.«
    »Ja, ich bin ein origineller Bursche. Sie kennen mich einfach noch nicht gut.«
    »Und wenn ich Sie besser kennen würde, fiele mein Urteil anders aus?«
    »Wer weiß.« Dennis leerte sein Glas. »Ich bestelle noch einen. Hätten Sie auch gern noch einen Drink, Helena?«
    »Nein, lieber nicht«, sagte Nick.
    »Na gut. Dann trinke ich eben allein. Traurig für mich.«
    »Wer weiß – wenn Sie sich lange genug hier herumtreiben, finden Sie ja vielleicht einen Saufkumpan.« Der Martini machte sie mutig.
    »Ich will gar keinen Saufkumpan.« Dennis seufzte. »Im Zug fühle ich mich immer einsam.«
    Nick hörte die vorbeirauschende Nacht, das jaulende Schlagen von Metall auf Metall.
    »Ja, Züge machen einsam«, sagte sie und zog noch eine Zigarette aus der Packung. »Ich glaube, ich nehme den Drink.«
    Dennis gab dem Kellner ein Handzeichen. Diesmal lag nur eine Olive in Nicks Martini. Aus irgendeinem Grund schämte sie sich deswegen.
    »Wie ist Ihr Bruder denn so?«
    »Wundervoll«, antwortete Nick. »Und sehr blond.«
    »Dann sehen Sie sich also nicht gerade ähnlich.«
    »Nein.«
    »Tja, der Junge hat Glück mit einer Schwester wie Ihnen.«
    »Meinen Sie? Also, ich weiß nicht, wie glücklich er sich schätzen sollte.«
    »Ich hätte gern eine Schwester wie Sie.« Er grinste sie an.
    Die Art, wie er es sagte, und sein verschwörerisches Grinsen gefielen Nick nicht. Er war ihr mittlerweile so nahe gerückt, dass sie die braunen Härchen sehen konnte, die ihm aus den Nasenlöchern wuchsen.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte sie und versuchte, beim Aufstehen das Gleichgewicht zu halten.
    »Ach, kommen Sie!«
    »Behalten Sie ruhig Platz.«
    »Nun seien Sie nicht eingeschnappt, ich habe ja nur Spaß gemacht!«
    Nick verließ den Salonwagen. Sollte er doch ihre beiden blöden Drinks bezahlen.
    »Wenn Sie mal Bedarf an brüderlicher Liebe haben …«, rief er ihr noch lachend nach. Dann schnitt ihm die Wagentür das Wort ab.
    In ihrem Schlafabteil riss sie sich
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