Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere
Autoren: Liza Klaussmann
Vom Netzwerk:
verloren.
    »Hughes, da ist irgendwas im Bett!«
    »Ja, ich weiß. Ach, du lieber Himmel!«
    Sie waren unter die Dusche gelaufen und hatten die roten Bisse entdeckt, mit denen ihre Beine übersät waren. Das Abflusswasser hatte ausgesehen wie Pfeffersauce. Hughes verfluchte das Schiff, verfluchte den Krieg. Nick fragte sich, ob er ihren nackten Körper überhaupt wahrgenommen hatte. Doch er kehrte ihr den Rücken zu und begann sich einzuseifen.
    Aber er hatte sie in den 21 Club ausgeführt, und dieses Erlebnis war von dem Gefühl geprägt gewesen, die ganze Welt habe sich dem Ziel verschworen, sie beide glücklich zu machen. Hughes, der niemals Geld von seinen Eltern annahm und nicht zuließ, dass Nick ihr eigenes ausgab, verdiente zwar als Lieutenant Junior nicht genug, um dort ein Essen bestellen zu können, aber er wusste, wie sehr sie die Geschichten von den Gangstern in den Sharkskin-Anzügen und den flotten Bräuten liebte, die sich dort während der Prohibition vergnügt hatten.
    »Zwei Martinis und ein Schälchen Oliven und Sellerie, mehr geht nicht«, sagte er.
    Nick sah ihrem Mann ins Gesicht. »Wir müssen nicht unbedingt hingehen, wenn wir es uns nicht leisten können.« Es war traurig; traurig und noch etwas anderes, aber sie wusste nicht genau, was.
    »Nein, nein«, erwiderte Hughes. »Das bisschen können wir uns leisten. Aber dann müssen wir gehen.«
    Kaum hatten sie die dunkel getäfelte Bar betreten, an deren Decke eine Unmenge von Spielzeug und Sportgeräten hing, spürte Nick, welche Wirkung ihre Schönheit und Jugend ausübten. Die Blicke der Männer und Frauen an den kleinen Tischen wanderten über ihr rotes Shantung-Kleid und prallten an ihrem kurzen, dicken schwarzen Haar ab. Auch das liebte sie an Hughes: Er hatte nie gewollt, dass sie so aussah wie die Filmblondinen, die im Zimmer jedes amerikanischen Jungen hingen. Und sie ähnelte ihnen auch absolut nicht. Sie wirkte ein bisschen zu streng, ihre Gesichtszüge waren etwas zu hart, als dass man sie hätte hübsch nennen können. Manchmal empfand sie es als einen nie endenden Kampf, der Welt beweisen zu müssen, dass sie in ihrer Andersartigkeit etwas Besonderes war, etwas Einmaliges. Aber dort, im 21 Club, fühlte sie sich akzeptiert. In der Bar wimmelte es von Frauen mit intelligenten Augen in hautengen Kleidern, Frauen wie Expresszüge. Und dann noch Hughes, der honigblonde Hughes mit seinen eleganten Händen, den langen Beinen und der dunkelblauen Marineuniform.
    Der Kellner plazierte sie an Tisch 29. Rechts von ihnen saß ein Paar. Die Frau rauchte und deutete auf bestimmte Zeilen in einem schmalen Buch.
    »In dieser Zeile steckt für mich der ganze Film«, sagte sie.
    »Durchaus«, erwiderte der Mann mit einem Hauch Unsicherheit in der Stimme.
    »Und es klingt so sehr nach Bogart!«
    »Ja, das hätte wirklich kein anderer sagen können.«
    Nick warf Hughes einen Blick zu. Sie wollte ihm zeigen, wie wundervoll sie es von ihm fand, sie hierhergebracht zu haben, dass er so viel Geld nur fürs Cocktailtrinken ausgab und sie sein ließ, wie sie war. Das alles versuchte sie mit einem Lächeln zu signalisieren. Reden wollte sie noch nicht.
    »Weißt du was?«, sagte die Frau mit plötzlich schriller Stimme. »Wir sitzen an ihrem Tisch. Ist dir klar, dass wir an ihrem Tisch sitzen und über sie sprechen?«
    »Wirklich?« Der Mann nippte an seinem Scotch.
    »Ach, das ist so typisch 21!«, sagte die Frau lachend.
    Nick beugte sich vor. »Was meinst du – von wem reden die?«, flüsterte sie Hughes hinter ihrer vorgehaltenen Hand zu, die in einem Handschuh steckte.
    »Wie bitte?«, fragte Hughes zerstreut.
    »Die haben gerade gesagt, sie würden am Tisch von irgendwem sitzen. Aber von wem?«
    Nick bemerkte, dass die Frau jetzt zu ihnen herübersah. Sie hatte sie gehört und gesehen, wie sie ihre Neugier hinter ihrer Hand zu verbergen suchte. Nick errötete und senkte den Blick auf das rot-weiß karierte Tischtuch.
    »Wir sitzen hier nämlich am Tisch von Humphrey Bogart und Lauren Bacall«, erklärte die Frau freundlich. »Sie haben bei ihrem ersten Rendezvous hier gesessen. Das Lokal gibt noch heute damit an.«
    »Ach wirklich?« Nick bemühte sich um einen Ton, der weder zu höflich noch zu gleichgültig klang. Sie strich sich mit beiden Händen über die schicke Frisur und spürte, wie das weiche Wildleder die vom Spray gehaltenen Haare lockerte.
    »Komm, Dick, wir geben ihnen den Tisch!« Die Frau lachte schon wieder. »Sind Sie zwei ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher