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YANKO - Die Geschichte eines Roma

YANKO - Die Geschichte eines Roma

Titel: YANKO - Die Geschichte eines Roma
Autoren: Anžy Heidrun Holderbach
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locker und blickte ihm wortlos scharf in die Augen. Yanko sah ihn schweigend und müde an, und die Zeit schien stehen zu bleiben. Johns Hand krallte sich in Yankos Hemd fest, als ob er ihn vor dem Ertrinken retten müsste. Auch die anderen Gäste schienen den Atem anzuhalten. Nach einer für John schier endlosen Weile, hatte er für Bruchteile von Sekunden den Eindruck etwas anderes als Leere in Yankos Augen wahrzunehmen, und je länger sie sich anschauten, desto länger wurden die Augenblicke in denen dieser Schimmer in seinem Blick aufflackerte. Johnspürte instinktiv, dass das der Schmerz sein musste, der sich irgendwo ganz tief in Yankos Seele vergraben hatte.
    Und plötzlich fing Yankos Körper an zu zittern, und er griff automatisch zum Glas und nahm einen Schluck, doch er zitterte noch mehr – es kam nicht vom Alkohol. Dann brach etwas in ihm zusammen. Man konnte es fast hören. Yanko packte John und schubste ihn von sich weg. Er fing an durchzudrehen und schlug wie ein Wahnsinniger alles kurz und klein, und niemand hinderte ihn daran. Auch John ließ ihn gewähren. Yanko hätte ihn sonst über den Haufen gerannt, wenn er ihm in die Quere gekommen wäre. Dennoch fühlte John sich ungemein erleichtert, dass Yanko sich wohl endlich ein bisschen Luft machte. Doch während sein Neffe einen Stuhl in die Hand nahm und diesen mit voller Wucht an die Wand schleuderte, sah John erschrocken, wie sehr Yanko abgemagert war, und er wunderte sich, woher er diese gewaltige Kraft noch nahm so zu wüten. Bei jedem Schlag konnte er Yankos Muskeln sehen, wie sie ein Stück Schmerz aus seinem Körper ziehen wollten, und je mehr sie ihm entrissen, desto wilder wurde er. John hatte plötzlich Angst Yanko könnte jeden Moment zusammenbrechen, so ausgemergelt wie er war. Doch er tobte noch eine ganze Weile. Dann stand Yanko plötzlich vor ihm, und John konnte regelrecht sein Herz schlagen sehen. Er konnte spüren und sehen, dass er versuchte zu leben und dass er wieder warm war. Ein kurzes Lächeln huschte über Yankos Gesicht. Es war zwar nur ein Hauch, aber es war da gewesen, und John wusste, jetzt würde er anfangen müssen damit fertig zu werden, dass sie tot war. Er ahnte, dass dieser Kampf nicht so schnell enden würde, denn Yanko war sehr emotional, und alles was Fam betraf, würde ihn vielleicht sogar sein Leben lang begleiten.
    Yanko stand eine Weile einfach so da, und plötzlich sagte er ganz ruhig: „John... Sie wollte, dass ich lebe... aber wie soll ichdas tun?“ Er drehte sich um, ging zum Tresen, bestellte sich noch einen Whisky und trank ihn in einem Zug aus. Dann lehnte er sich an die Theke, schaute wieder zu John und fragte ihn ganz leise: „Wie?... Wie John? Sag’s mir!“ Seine Finger krallten sich in das Holz, und er trat mit voller Wucht gegen die Thekenverkleidung. John kam zu ihm rüber und legte eine Hand auf seine Schulter. Yanko seufzte leicht und murmelte: „Ich muss was essen!“ John umarmte ihn erleichtert, bezahlte seine Rechnung, und dann verließen sie gemeinsam den Pub.
    Tante Mary sprang gleich in die Küche, als sie die beiden kommen sah und zauberte blitzschnell ein deftiges Mahl. Yanko versuchte etwas zu essen, konnte aber die Gabel kaum noch festhalten, so erschöpft fühlte er sich nach seinem Ausraster. Langsam würgte er ein paar Bissen hinunter, doch er fühlte sich zu elend und hundemüde. Schließlich stand er auf und legte sich wortlos auf die Couch. Wie betäubt fiel er sofort in einen traumlosen Schlaf.
    Am nächsten Morgen stand er früh auf, ging in den Garten und hackte Holz. Es tat ihm gut etwas Körperliches zu tun. Das Holz gab ihm Ruhe und das Gefühl nicht allein zu sein. Später aß er ein wenig von Marys leckerem Eintopfgericht. Dank ihrer Fürsorge schaffte er es innerhalb von ein paar Wochen sein Trinkpensum von vier Flaschen Whisky pro Tag auf eine Flasche herunterzuschrauben. Geredet hatte er in dieser Zeit allerdings immer noch nicht viel, vor allem nichts über den Unfall.
    Drei Monate später saßen sie wie immer abends gemeinsam beim Essen. Die Sonne schickte ihre goldbraunen Strahlen durch das Fenster und erwärmte den Raum. Mary bemerkte, dass Yanko ganz merkwürdig war und unkoordiniert in seinemEssen herumstocherte. Und sie fragte ihn vorsichtig: „Yanko, was ist los mit dir?“
    Er blickte auf, und sie konnte sehen, dass er ganz blass war und leicht schwitzte. „Ich hab’ heute noch nichts getrunken... Ich muss es jetzt versuchen!“, murmelte er und
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