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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln
Autoren: Alex Haley
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wurde darüber gescherzt, daß er seinen Wahlsieg eigentlich nur einer einzigen Person zu verdanken habe – – – Cousine Georgia. Ihren Sohn Floyd, der den Wahlkampf leitete, hatte sie zu wiederholten Malen vor dem Wählerpublikum die weithin anerkannte Integrität meines Bruders rühmen hören. Da war auch unsere geliebte, sehr entschlossene und energische Georgia auf die Straße gegangen. Sie hatte mit ihrem Spazierstock an die Haustüren gepocht und den überraschten Leuten ein Bild ihres Großneffen und Kandidaten mit den Worten präsentiert: »Dieser Junge hat mehr Tegrität, als ihr mit so ’nem Stock rausschlagen könnt!«
    Jetzt flog ich abermals nach Kansas City, um Cousine Georgia zu sehen. Ich glaube, ich werde nie ihre prompte Antwort vergessen, als ich ihr meine Idee mit dieser Familiengeschichte zu erläutern begann. Sie sah gealtert und leidend aus, aber nun richtete sie sich mit einem Ruck in ihrem Bett auf und rief aufgeregt, und das klang wie ein Widerhall aus meiner Knabenzeit auf der Veranda: »Na klar, Junge, dieser Afrikanermensch sagte, sein Name war ›Kin-tay‹. Er sagte zur Gitarre ›ko‹ , zum Fluß ›Kamby Bolongo‹, und er war gerade am Holzschneiden, um sich ’ne Trommel zu basteln, als sie ihn schnappten.«
    Cousine Georgia ließ sich von der alten Familiengeschichte dermaßen erregen, daß Floyd, Bea und ich eine Zeitlang brauchten, um sie wieder zu beruhigen. Ich erklärte ihr, daß ich versuchen wollte herauszufinden, ob es möglicherweise irgendeinen Weg zur Lösung der Frage gab, woher unser Kin-tay gekommen war – was uns auf die Spur unseres ursprünglichen Volksstammes bringen konnte.
    »Du wirst es rauskriegen, Junge«, rief Cousine Georgia aus, »deine liebe Großmutter und sie alle da oben – sie werden über dich wachen.«
    Der Gedanke an all dies schien mir unbeschreiblich.
    Mein Gott!

Kapitel 120
    Bald danach besuchte ich das National-Archiv in Washington D.C. und meldete bei dem Aufseher des Lesesaals mein Interesse an den Bevölkerungsstatistiken des Alamance County, Nord-Carolina, aus der Zeit direkt nach dem Bürgerkrieg an. Viele Rollen mit Mikrofilm wurden herangeschafft. Ich begann, die Filme durch das Sichtgerät laufen zu lassen; dabei wuchs in mir zunehmend das Gefühl der Verwirrung angesichts der schier endlosen Parade der in altmodischer Schönschrift von 1800 aufgeführten Namen. Schon ermüdet, merkte ich plötzlich, wie ich immer wieder auf zwei Namen starrte: »Tom Murray, schwarz, Schmied« und »Irene Murray, schwarz, Hausfrau« – gefolgt von den Namen von Großmutters älteren Schwestern, denen ich so oft auf Großmutters Veranda gelauscht hatte. »Elizabeth, sechs Jahre alt« – das war niemand anderes als meine Großtante Liz! Zu der Zeit dieser Volkszählung war Großmutter ja überhaupt noch nicht geboren.
    Es war nun nicht etwa so, daß ich die Erzählungen meiner Großmutter und all der anderen nicht geglaubt hätte. Meiner Großmutter nicht zu glauben war schlechthin unmöglich! Es war bloß einfach unheimlich für mich, all diesen Namen im Archiv der U.S. Regierung tatsächlich wiederzubegegnen.
    Zu jener Zeit lebte ich in New York, aber ich kam so oft nach Washington, wie ich es einrichten konnte – ich forschte nicht nur im National-Archiv weiter, sondern auch in der Bibliothek des Kongresses sowie in jener »der Töchter der amerikanischen Revolution«. Wo immer ich war – wenn schwarze Bibliotheksangestellte um den Gegenstand meiner Arbeit wußten, erreichten mich die von mir bestellten Dokumente in fabelhafter Geschwindigkeit. Aus verschiedenen Quellen konnte ich 1966 zumindest die wichtigsten Ereignisse der überlieferten Familiengeschichte dokumentarisch belegen. Ich würde allerlei dafür gegeben haben, wenn ich das Großmutter noch hätte sagen können – dann erinnerte ich mich an die Worte von Cousine Georgia, daß sie ja »allesamt da oben über mir wachen«.
    Jetzt war das Problem: Wo und wie kam ich auf die Spür dieser fremdartigen Wörter, die unser afrikanischer Vorfahr der Überlieferung nach gesprochen haben sollte? Es schien klar, daß ich so viele heutige Afrikaner wie irgend möglich würde erreichen müssen, einfach, weil in Afrika so viele verschiedene Stammesdialekte und Sprachen gesprochen werden. Da ich in New York war, tat ich, was logisch erschien: Ich begab mich ins Gebäude der Vereinten Nationen zur Zeit des Arbeitsschlusses. Die Aufzüge spien Leute aus, die schnurstracks durch die
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