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Wortstoffhof

Wortstoffhof

Titel: Wortstoffhof
Autoren: Axel Hacke
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Sohn darin blättert und sich also für Dinge interessiert, die etwas mit Hauptstadtraten zu tun haben könnten. Sofort bestellte ich mir das ADAC-Länderlexikon.
    … und, so schrieb mir Herr G., dieses Länderlexikon sei hoch interessant, es verzeichne für jedes Land nicht nur die Hauptstadt und die Einwohnerzahl, sondern auchKlimadaten, die Kriminalitätsrate, die Zusammensetzung der Bevölkerung, die Ausgaben für das Gesundheitssystem und die Zahl der im Land lebenden Hühner.
    Die Zahl der Hühner?
    Ja, zum Beispiel leben in Frankreich 230 Millionen Hühner, in Großbritannien 168 Millionen, aber in Deutschland nur 108 Millionen. Obwohl wir viel mehr Einwohner haben. Wir sind eigentlich ein relativ hühnerarmes Land, das dringt einem gar nicht ins Bewusstsein. Übrigens gibt es Länder, in denen es überhaupt keine Hühner gibt. Der Vatikan. Katar. Die Marshallinseln. Andorra.
    Man liest das und stellt sich vor, wie die Rechercheure des ADAC-Länderlexikons um die ganze Welt gereist sind und überall die Hühner gezählt haben, in jeden Stall haben sie hineingeguckt, die Hühner in Reihen antreten lassen, und dann wurde durchgezählt.
    Was für ein Aufwand! Was für eine Liebe zum Detail! In China leben 3,77 Milliarden Hühner, in den USA 1,83 Milliarden, aber in Tuvalu mitten im Pazifik nur 27.000.
    Nun aber zu Estland. Das war ja der Grund, weshalb Herr G. mir geschrieben hatte. Für Estland verzeichnet das ADAC-Länderlexikon nämlich eine Hühnerzahl von 3.003.746 Millionen. Drei Billionen drei Milliarden siebenhundertsechsundvierzig Millionen Hühner.
    In Estland.
    Ein Druckfehler? Druckfehler kann ich mir beim ADAC nicht vorstellen. Ebenso wenig wie beim TÜV.
    Estland hat 45.226 Quadratkilometer.
    Das bedeutet ungefähr 66,5 Millionen Hühner pro Quadratkilometer. Das bedeutet etwa 66 Hühner auf jedem Quadratmeter Estlands. Man fragt sich, wo noch Platz für die 1,4 Millionen Esten ist. Warum sie ihr ganzes Land denHühnern zur Verfügung gestellt haben. Herr G. hat ausgerechnet, dass auf jeden Esten 2.145.533 Hühner entfallen, und er fragt sich, wie lange es dauert, bis alle diese Hühner auf jeden einzelnen Kopf entfallen sind. Er hat weiter gerechnet: »Nehmen wir der Einfachheit an, ein Federtier bräuchte pro Kopffall 1 Sekunde; dann würden insgesamt für jeden statistisch sauber ausgeführten Hühnerfall/Kopf 2.145.533 Sekunden benötigt, also knapp 25 Tage.«
    Dreieinhalb Wochen Hühnerregen in Estland, ununterbrochener schwerer Hühnerniederschlag.
    Man wagt es nicht, sich vorzustellen, wie die Anzüge der ADAC-Hühnerzähler aussahen, als diese tapferen Männer und Frauen Estland endlich verlassen durften und nach Lettland weiterreisen konnten, wo nur 3,11 Millionen Hühner leben. Sie haben ja an der Grenze kaum die Tür hinter sich schließen können, die Hühnerzähler. So stark drückten die estnischen Hühner dagegen.
    Was für ein Land, dieses Estland!
    Die Hauptstadt heißt übrigens Tallinn.
TIKA-TAKI
    Einmal ist dem Luis Folgendes passiert. Er war nämlich an einer Grundschule, an der alle Schimpfwörter streng verboten waren, man durfte sie einfach nicht benutzen, nicht mal ein bisschen und ganz leise. Der Luis aber saß im Unterricht bisweilen neben einem etwas seltsamen Knaben, der seinen Nachbarn – den Luis also – eine ganze Unterrichtsstunde lang mit allem Möglichen zu provozieren trachtete, er trat ihm also auf den Fuß, zwickte ihn ins Bein, nahm ihm einen Schreibstift weg und so weiter und so weiter.
    Luis hätte das gern der Lehrerin gesagt, aber er wollte nicht petzen. Er hätte seinen Nachbarn auch gern ein »Arschloch« genannt, aber das durfte er eben nicht, die Schule hatte, wie gesagt, ihre Grundsätze.
    Also dachte er eine Weile nach und schrieb dann auf einen Zettel: »Tika-Taki = Arschloch«. Diesen Zettel schob er dem Nachbarn zu, in der Absicht, ihn nun gelegentlich »Tika-Taki« zu nennen, womit er einerseits das Wort »Arschloch« vermieden hätte, andererseits dem Quälgeist doch in aller Deutlichkeit mitgeteilt hätte, wofür er ihn hielt.
    Der Nachbar nahm den Zettel, stand auf und überreichte ihn der Lehrerin. Und Luis musste zehn Minuten draußen vor der Klassenzimmertüre stehen, zur Strafe für die Benutzung eines verbotenen Wortes.
    »So was Dummes!«, habe ich damals zum Luis gesagt, und ich habe nicht seinen Zettel gemeint.
    Wenn man es nur richtig sieht, dachte ich dann, ist es vielleicht am besten, man hat immer einige Privat-Schimpfwörter zur
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