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Wortstoffhof

Wortstoffhof

Titel: Wortstoffhof
Autoren: Axel Hacke
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Toilette wanken muss. Danach kann ich vielleicht nicht mehr einschlafen.
    Immer öfter denke ich, dass mein Vater in einem bestimmten Alter von genau diesem Thema anfing zu sprechen und dass mein Vater mir als Kind so unglaublich alt erschien, so außer jeder Konkurrenz alt, als entstamme er einer anderen Welt, in der man ächzte, wenn man sich aus dem Sessel erhob und über Rückenschmerzen klagte. Immer öfter klagen in meiner Umgebung Menschen über Rückenschmerzen. Ächzen, wenn sie sich aus Sesseln erheben.
    Immer öfter lese ich in der Post Werbetexte von Hotels, die mir eine »Acht-Tages-Pauschale inklusive Verwöhnpension« anbieten, wobei zur »Verwöhnpension« auch ein »Vital-Frühstücksbuffet« gehört. Wenn ich Worte wie »Verwöhnpension« höre, muss ich meinen schon leicht brüchigen Schädel gegen die Wand schlagen, Ähnliches gilt für die»Wellness-Schnitte«, die kürzlich auf großen Blechen in meiner Bäckerei angeboten wurde, zwei Wellness-Schnitten gab es zum Aktionspreis, ja, in der Zeitung las ich von einem Metzger, der »Wellness-Wurst« im Angebot führe. Das Wörtchen »vital« aber hat auf mich die Wirkung einer Feuerwehrsirene. Es signalisiert die Nähe des Alters und des Grabes. Es riecht nach Knoblauchperlen und Ginseng-Extrakt, all diesen Dingen, mit denen mein Vater sich dem Verfall entgegenstemmte. Gibt es nicht eine Senioren-Zeitschrift namens Vital ?
    Immer öfter spricht man unter Leuten meines Alters über nächtliche Schlaflosigkeit. Bruno, mein alter Freund, kennt das nicht, aber er sagt, neulich sei ihm aufgefallen, dass seine Frau offenbar nachts schlecht schlafe, jedenfalls habe morgens auf ihrem Nachttisch ein Tee gestanden. Abends sei dort noch kein Tee gewesen.
    »Ein T?«, sage ich. »Auf dem Nachttisch deiner Frau stand ein T?«
    Das erschien selbst mir geheimnisvoll, der ich im Umgang mit Buchstaben an Seltsames gewöhnt bin (→ T ). Buchstaben, die einfach so nachts neben dem Bett erscheinen, noch dazu ein T? Ich meine, ein A oder B, das wäre noch was, aber T? Ist schon ziemlich am Ende des Alphabets … Was wird sein, wenn ich eines Morgens erwache und neben meinem Bett steht ein Z?
ZEE-SIK-KAI-TEN
    Ab und an, wenn mich das Sprechen meiner eigenen Sprache langweilt, nehme ich das German Phrase Book des US War Department vom 30. November 1943 zur Hand, das mir vor Jahren Herr E. aus Reichertshausen/Ilm schenkte. Unter Zuhilfenahme dieses Werkes verständigten sich amerikanische Soldaten bei der Eroberung Nazi-Deutschlands mit der ansässigen Bevölkerung (→ Phrasealator ). In diesem Büchlein lernen wir unsere geliebte Landessprache auf eine ganz neue Weise kennen, in der Lautschrift nämlich, nach der Amerikaner sie sprechen sollten.
    Und plötzlich, in dieser Verschmelzung von Deutsch und Amerikanisch, ist das nicht verblüffend?, hat das Deutsche etwas, wie soll man sagen: Koreanisches?
    Wir sehen Wörter wie: ZEE-sik-kai-ten, VAI-sa REE-ben, VA-ser-m’lo-na, AHP-g’kawkh-tess VA-ser. KAWN-yahk. (Das sind, in dieser Reihenfolge: Süßigkeiten, Weiße Rüben, Wassermelone, abgekochtes Wasser, Kognak.)
    Wir sehen andere Wörter: ba-O-bahkh-toongss-FLOOK-tsoyk und ma-SHEE-nen-g’vayr-sheet-sa. (Das Beobachtungsflugzeug und der Maschinengewehrschütze.)
    Und wir lesen Sätze wie: Ist heer in der NAY-ha dahss paw-lee-TSAI-ahmt? Sowie auch: VEL-shess ist dee HERSHST-g’shvin-dikkait? (Ist hier in der Nähe das Polizeiamt? Welches ist die Höchstgeschwindigkeit?)
    Anderthalb Jahre vor der Kapitulation der Deutschen, so sehen wir in diesem Buch, hatten die Amerikaner diese bis in Kleinste sprachlich schon vorbereitet gehabt:er-GAY-ben zee zish! Aber auch: MA-khen zee ess zish B’K-VAYM!
    Fortgeschrittenen empfehle ich dann das wunderbar schrullige, vollkommen absurde, ziemlich anspruchsvolle, leider nur noch antiquarisch erhältliche und mir von Herrn und Frau H. aus Berlin zur Verfügung gestellte Büchlein von John Hulme Die gesammelten Werke des Lord Charles , in dem die These aufgestellt wird, viele deutsche Kinderreime und -lieder seien in Wahrheit Produkte eines exzentrischen, whiskysüchtigen englischen Lords. Hier, in diesen Zeilen, die laut und am besten vom nächsten greifbaren Engländer gelesen werden müssen, verbirgt sich das Deutsche quasi auf äußerst trickreiche und reizvolle Weise im Englischen. Eine Kostprobe:
    » He sh! vice knit vas solace be toy ten
    Doss eke so trow reek bin.
    Iron mere shun house Al ten sigh ten
    Doss Comte mere knit
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