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Wofür stehst Du?

Wofür stehst Du?

Titel: Wofür stehst Du?
Autoren: Giovanni di Lorenzo Axel Hacke
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weiterblättere. Ich fühle mich, je älter ich werde, bei den meisten politischen Themen immer weniger kompetent.
    Schließlich: das tägliche Bombardement mit Debatten, mit Gerede, mit Talkshows, die nur noch Fetzen aus der Diskussion transportieren – und von dem einem am Ende nichts bleibt als das Gefühl: Hier klappt doch sowieso nichts. Hier stehen Eitelkeit und persönliche Interessen über der Sache, um die es geht.
    Wie ich das hasse: dieses ewige Herumhacken auf allem und jedem, was Politik ausmacht! Und das ausgerechnet in Deutschland, das doch ein Schlaraffenland ist!
    Wem hier Unrecht geschieht, der kann sich vor Gericht wehren, auch dann, wenn er mittellos ist – und das Verfahren dauert Monate, nicht Jahre wie in anderen Ländern. Wer krank ist, wird gut versorgt, auch wenn er immer nur in der AOK pflichtversichert war. Wer in finanzielle Not gerät, dem wird geholfen, manchmal mit Beihilfen, die höher sind als der Lohn, den er für eine Arbeit erhalten würde. Es gibt freie und kritische Medien in Hülle und Fülle, die noch Verlegern gehören und nicht Industriekonsortien, die ihre Blätter für wirtschaftliche Interessen instrumentalisieren. Und wenn Politiker über die Stränge schlagen, dann wird ihnen gnadenlos Rechenschaft abverlangt, in der Öffentlichkeit und vor Untersuchungsausschüssen.
    Ganz wichtig noch (und das ist eigentlich für mich die Voraussetzung, um hier leben zu können): Das Land hat sich glaubhafter und tiefer mit den Verbrechen seiner Geschichte auseinandergesetzt als jedes andere, das ich kenne. Und gottlob widersteht immer noch eine Mehrheit dem Ruf jener, die einen »Schlussstrich ziehen«, den Nationalsozialismus endlich »bewältigt« haben wollen (die Fürsprecher ähneln übrigens oft auffällig jenen, die jetzt die Auseinandersetzung mit den Untaten der DDR am liebsten sofort beenden würden).
    Was wirklich irritierend ist, wenn auch menschlich nachvollziehbar: die Selbstverständlichkeit, mit derwir unser Gemeinwesen sehen. Es ist aber nicht selbstverständlich, ganz und gar nicht. Es ist etwas, das immer neu erarbeitet werden muss – und immer wieder gefährdet ist. Wobei übrigens Demokratie-Treue in Jahrzehnten bei uns auch erkauft wurde: mit der Aussicht auf immer neue Wohltaten. Jetzt aber gibt es zum ersten Mal seit dem Krieg kein Versprechen auf Zuwachs mehr. Umso wichtiger wäre es eigentlich, sich bewusst zu machen, was wir haben, was es uns bedeutet und was wir dafür zu tun bereit sind.
    Vielleicht muss man als Fremder nach Deutschland kommen, um das überhaupt würdigen zu können. Hier musste zum Beispiel vor vielen Jahren ein Bundesminister zurücktreten, weil er auf amtlichem Briefpapier für eine »pfiffige Idee« seines angeheirateten Vetters geworben hatte. In Italien hätte ein Minister eher zurücktreten müssen, wenn er einen solchen Werbebrief nicht geschrieben hätte. Manchmal driftet diese Kontrollwut ins Inquisitorische, Selbstgerechte, Verlogene und geradezu Lächerliche ab: Es gab auch schon Politiker, die ihren Posten verlassen mussten, weil sie im Amt erworbene Bonusmeilen privat verflogen hatten.
    Kann es nicht sein, dass die Deutschen ihren Politikern vorwerfen, was sie an sich selbst nicht leiden können: die Gier selbst im Kleinen, die Rabattmarkenmentalität, die Geiz-Geilheit?
    Kein Wunder, dass sich nur noch ganz wenige bereitfinden, diesen Beruf zu ergreifen.
    Aber eben diese wenigen sind nun mal das Problem, das lässt sich doch nicht wegreden, oder?
    Als ich anfing, mich für Politik zu interessieren, Zeitung zu lesen, Debatten zu verfolgen, da war Willy Brandt Bundeskanzler. Klaus Harpprecht, der Fernseh-Korrespondent in Washington gewesen war und den S. Fischer Verlag geleitet hatte, schrieb Reden für ihn. Der Soziologe Ralf Dahrendorf, der als einer von wenigen deutschen Professoren öffentlich mit Rudi Dutschke diskutierte, war Landtags- und Bundestagsabgeordneter, Staatssekretär und EG-Kommissar. Günter Gaus, berühmt für seine Fernsehinterview-Reihe Zur Person und Chefredakteur des Spiegel: Auch er wurde Staatssekretär. Der Rechtswissenschaftler Werner Maihofer war Innenminister, der Staatsrechtslehrer Horst Ehmke Chef des Bundeskanzleramtes, später Minister. Unabhängige Leute wie Hans Leussink, Ingenieur, Professor und parteilos, oder Hildegard Hamm-Brücher wurden ebenfalls Minister.
    Man hatte das Gefühl, dass Intellektualität und Macht sich nicht gegenseitig ausschließen. Es gab eine Leidenschaft für
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