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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Autoren: Martin Gohlke
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sie wussten nicht, ob sie grinsen sollten. „Die Frage der Erlaubnis ist nicht etwas, was uns sonderlich interessiert, Ilona“, rührte Jürgen ein letztes Mal in seinem Kaffee, bevor er ihn mit einem großen Schluck austrank und aufstand. „Ich bin spät dran. Macht es gut miteinander.“ Wieder griente er, eine Mimik, die seinem Gesicht fast angewachsen schien. Im nächsten Augenblick war er bereits außer Sichtweite.
    „Mich interessiert das Thema richtig“, sagte Manfred.
    „Zusammen sind wir bestimmt ein gutes Team.“
    Einen Moment lang, der beiden deutlich länger vorkam, sprach niemand.
    „Ich weiß, dass das Referat für dich mit einem Schein verbunden ist, den du für das Studium unbedingt brauchst. Lass uns einen Arbeitsplan machen. Drei Wochen sind schnell rum.“ Manfred holte einen Stapel Papiere aus der Tasche. „Ich habe mich schon mit der NS-Zeit beschäftigt. Letztes Semester habe ich dazu eine Vorlesung besucht. Ich glaube, ich kann mittlerweile ganz gut abschätzen, worin die Bedeutung unseres Themas liegt. Kannst du noch zuhören?“
    „Bei dir schon.“ Ilona öffnete ihre Brotdose. Graubrot mit Leberkäse.
    „Also gut, erwarte jetzt bloß keinen wissenschaftlichen Vortrag; auch wenn du noch nicht lange studierst, weißt du ja, dass ein Redeschwall hier nur akzeptiert wird, der sich an irgendeiner Wissenschaftssystematik orientiert... Also gut, du merkst schon, die Uni hat auch auf mich schon abgefärbt, man traut sich manchmal kaum, den Mund aufzumachen, weil man sofort von der eigenen Reflexionsmaschine erschlagen wird. Dazu kommt, dass ich hier nur einen Stapel unterschiedlichster Papiere habe, aber noch nicht versucht habe, irgendwas in Reihenfolge aufzuschreiben. Und eins auch noch vorweg, Ilona, schaue bitte nicht auf meine Unterlagen. Du weißt warum, und das kann ich dann ja gleich mit erzählen, viel besser geworden ist das mit meiner Schreiberei immer noch nicht. Und ich werde schnell paranoid, wenn jemand auf mein Geschriebenes guckt.“
    Manfred atmete tief durch. Er merkte, dass er sich selbst unter Druck gesetzt hatte und beobachtete beruhigt, dass Ilona keinerlei Anstalten machte, irgendetwas von seinem Gesagten komisch zu finden. Weniger angespannt redete er weiter.
    „Kaum fand ich jemals etwas so spannend wie die Vorlesung, die unser Prof letztes Semester gehalten hat. Seine These ist, dass der Wiederaufbau Deutschlands in den letzten 20 Jahren gar nicht möglich gewesen wäre, wenn die Nazi-Zeit nicht so komplett verdrängt worden wäre. Du kannst dir denken, wie das die Leute vom SDS auf die Palme gebracht hat – die halbe Uni ist da ja drin, genau genommen so um die 400, immerhin, und hier am Institut sind das besonders viele. Die haben das natürlich sofort als Rechtfertigung interpretiert. Ist meines Erachtens aber quatsch, der hat sich halt nur auf die Denke der Psychoanalyse gestützt; der Prof wollte meines Erachtens gar nichts rechtfertigen, sondern nur was erklären. Aber aufregen tun sich die vom SDS trotzdem zu Recht, weil die Erklärung eben nichts entschuldigen kann. Vor allem, und das kam in der Vorlesung halt immer wieder rüber, weil wir alle überhaupt keine Ahnung davon haben, wie viel Leute, die heute bei uns was zu sagen haben, Dreck am Stecken haben. Es hat mich mehr als einmal aufgeregt, dass es eine ganze Menge ehemaliger Nazis gibt, die heute wieder Macht haben. Wütend macht es mich auch, dass uns die Verbrechen der Nazi-Zeit immer verschwiegen wurden.“
    Manfreds Ton wurde wieder aufgeregter. „Oder haben wir uns im Schulunterricht etwa um Auschwitz gekümmert, oder haben wir was darüber erfahren, wie die deutsche Industrie Hitler an die Macht geholfen hat, oder über die Vernichtung durch Arbeit in den Gefangenenlagern und, und, und. Einen Scheißdreck haben wir, nichts haben wir, wir wurden komplett verarscht. Immer haben wir nur gehört, wie toll wir sind, Fußball-Weltmeister, Wirtschaftswunder, jeder hat bald ein Auto, Fernseher und Wohnung sowieso, Mitbestimmung auch noch, noch nie waren wir so frei wie heute und ...“
    „Du weißt, was du mir erzählen willst, Manfred?“, unterbrach Ilona resolut. Sofort fing sie an zu lächeln und sofort wusste sie, ihren kalten Einwand zu erklären. „Werner und sein Vater erzählen genau das Gegenteil, aber genauso aufgeregt wie du. Und ich kann ihren Ton manchmal nicht mehr ertragen. Tut mir leid...“
    „Alles klar.“ Manfred hätte sie knuddeln können für ihre Entschuldigung und
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