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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du
Autoren: Unbekannter Autor
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einem Gewitter beinahe ums Leben gekommen wäre? Also habe ich dich dem Team des Lagers im Sula-Tal anvertraut, um dich außer Gefahr zu bringen. Ich konnte die Leute im Dorf nicht allein lassen.«
    »Aber mich konntest du allein lassen!«
    »Aber du warst nicht allein!«
    Lisa begann zu schreien.
    »Doch, ohne dich war ich mehr als allein, der schlimmste aller Albträume, an dem man zu sterben glaubt, weil einem das Herz in der Brust zerspringt!«
    »Mein kleines Mädchen, ich habe dich in die Arme genommen, geküsst und bin wieder hinaufgestiegen. Mitten in der Nacht hat Rolando mich geweckt. Sintflutartige Regengüsse prasselten auf uns nieder, die Häuser begannen abzurutschen. Erinnerst du dich an Rolando Alvarez, den Dorfvorsteher?«
    »Ich habe mich an den Geruch der Erde erinnert, an jeden Baumstamm, an all die Türen der Häuser, denn der winzigste Bruchteil dieser Erinnerungen war alles, was mir von dir geblieben war. Kannst du das verstehen, hilft dir das, die Leere zu ermessen, die du in mir zurückgelassen hast?«
    «Im strömenden Regen haben wir die Dorfbewohner zum Gipfel geführt. Unterwegs ist Rolando in der Dunkelheit an einem Steilhang ausgerutscht, ich habe mich auf den Boden geworfen, um ihn festzuhalten, und habe mir dabei den Knöchel gebrochen. Er hat sich an mir festgeklammert, aber er war zu schwer.« »War ich auch zu schwer für dich? Wenn du wüsstest, wie übel ich dir das nehme!«
    »Im Licht eines zuckenden Blitzes habe ich ihn lächeln sehen. >Kümmere dich um sie, Dona, ich verlasse mich auf dich<, das waren seine letzten Worte. Er hat meine Hand losgelassen, um mich nicht in den Abgrund zu ziehen.«
    »Hat dir dein schöner Alvarez nicht gesagt, du sollst dich bei all deiner wundervollen Hingabe auch ein klein bisschen um deine Tochter kümmern, damit auch sie sich auf dich verlassen kann?« Susans Stimme wurde plötzlich lauter.
    »Er war wie ein Vater für mich, Lisa, wie jener Vater, den mir das Leben genommen hat!«
    »Du wagst es, mir so was zu sagen? Das ist wirklich die Höhe! Du hast mich die Rechnung für deine Kindheit zahlen lassen. Aber was hatte ich dir getan? Außer dich zu lieben, Herrgott noch mal, sag es mir, was hatte ich dir getan?«
    »Am frühen Morgen war die Straße mitsamt einem Teil des Hangs verschwunden. Ich habe zwei Wochen ohne die geringste Verbindung zur Außenwelt überlebt. Wegen der Trümmer, die der Schlamm ins Tal gerissen hatte, nahmen die Behörden an, wir wären tot, und haben uns keine Hilfstrupps geschickt. Also habe ich mich um all jene gekümmert, die du aus deiner Kindheit kennst, um die Verletzten, die Frauen und Kinder, die am Rande der Erschöpfung waren und denen man helfen musste.«
    »Aber nicht um deine kleine Tochter, die verängstigt im Tal auf dich gewartet hat.«
    »Sobald ich hinabsteigen konnte, bin ich aufgebrochen, um dich zu suchen. Ich habe fünf Tage gebraucht, um ins Tal zu gelangen. Als ich endlich das Lager erreicht hatte, warst du schon fort. Ich hatte der Frau von Thomas, der die Krankenstation von Ceiba leitet, genaue Anweisungen gegeben. Sollte mir etwas zustoßen, sollten sie dich zu Philip bringen. Bei meiner Ankunft habe ich erfahren, dass du noch in Tegucigalpa warst und erst am Abend nach Miami fliegen würdest.« »Warum hast du mich dann nicht geholt?«, schrie Lisa noch aufgebrachter.
    »Aber das habe ich ja getan! Ich habe den nächsten Bus genommen. Unterwegs habe ich dann an die Reise gedacht, die du machen würdest, an den Ankunftsort, kurz, an dein Schicksal, Lisa. Du würdest in ein Haus kommen, wo du morgens aufstehen würdest, um in einer richtigen Schule zu lernen, mit der Chance auf eine richtige Zukunft. Das Schicksal hat von mir verlangt, auf der Stelle über dein Leben zu entscheiden, denn ohne dass ich es provoziert hätte, warst du unterwegs zu einer anderen Kindheit, die nicht mehr von Tod, Einsamkeit und Elend gezeichnet war.«
    »Das Elend war für mich, dass meine Mutter nicht mehr da war, wenn ich sie brauchte, um mich in die Arme zu nehmen; die Einsamkeit -du hast ja keine Vorstellung, wie sehr ich sie in den ersten Jahren ohne dich empfunden habe. Der Tod, das war die Angst, deinen Geruch zu vergessen; sobald es regnete, bin ich heimlich hinausgegangen, um feuchte Erde aufzusammeln und zu riechen, um mich an die Düfte von »dort« zu erinnern. Ich hatte solche Angst, den Geruch deiner Haut zu vergessen.«
    »Ich habe dich in ein neues Leben in einer richtigen Familie gehen lassen, in
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