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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein
Autoren: Matthias Nawrat
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lasse mich zurückfallen in den Stuhl, dessen Holzlehne hart ist.

    2    Es schläft ein Tod in allen Dingen. Ich müsste ein geheimes Glücksgefühl entdecken, ich müsste einen Winkel in mir finden, in dem es so etwas gibt wie Glück. Als ich erwache, ist es noch dunkel. Ich verkrampfe unter der kalten Dusche. In den Etagen über und unter mir klopft es in den Rohren. Die Kopfschmerzen sind unerträglich. Ich verfluche Rudi, der uns nach Feierabend die Flaschen hinstellt, in denen angeblich nur noch ein Fingerbreit Zuckersatz schwimmt.
    Kurz darauf sitze ich am Küchentisch, es ist zu spät, um nochmals schlafen zu gehen, zu früh, um in die Mechanik des Tages schon einzutreten. Ich bin früher wach als die Zeit selbst. Ich rauche eine Zigarette. Ich reiße Papier aus einem alten Schreibblock. Theres. Ich muss dir etwas sagen. Ich zerknülle das Blatt. Hätte ich doch ein Telefon, sage ich laut. Ich gehe ins Wohnzimmer, ins Schlafzimmer, zurück ins Wohnzimmer, die Dielen knarzen. Im Regal neben der Yucca-Palme die schlafenden Bücher, in denen ich früher gelesen habe. Die Welt als Wille und Vorstellung. Die Krisis der europäischen Wissenschaften. Der Einzige und sein Eigentum. Unter dem Fenster zieht ein orangefarbenes Männchen eine Tonne ans Ende der Straße, wo ein Müllwagen steht und blinkt.
    Ich stelle mir vor, wie Theres aufwacht. Theres braucht keinen Wecker, weil ihr Schlaf auf natürliche Weise ausklingt. Mag sein, sie träumt von einer Stille. Oder von einem Konzert, das nach dem letzten Akkord aus dem Schlaf in ihr Schlafzimmer hineinklingt und sie hinausgeleitet in den neuen Tag. Theres hört zunächst hinein in ihre Wohnung, dann auf die Straße hinaus, über die Dächer unserer Stadt hinweg, über den Marktplatz mit dem roten Münster, zum Schwarzwald hin. Oder über die Hochhaussiedlungen in die Ebene hinüber, zum Kaiserstuhl, über den Rhein, in die Vogesen. Die Töne verklingen in dem Labyrinth aus Tälern, die uns hier eingrenzen. Und dann erkennt sie die Gerüche: das Bett, das ihre Bewegungen während des Schlafs aufgestaut hat, den Rosmarin aus der Küche, den Zitronenstein aus dem Bad, den Rauch aus den Kaminen in ihrer Straße, den Geruch nach der Möglichkeit von Schnee, mit dem der Schwarzwald schon im Herbst kokettiert. All das ist für Theres sicher zuerst da. Dann erst schlägt sie die Augen auf.

    3    Eigentlich könntest du in Zukunft die Bestellungen machen, sagt Ecki. Du hast doch studiert.
    Lieber nicht, Ecki, sage ich.
    Die Blumenkohlgehirne stapeln sich in den Kisten, der Geruch von Erbrochenem füllt die Halle aus. Zwei Kilo Kürbis für den Wächtle in Gottenheim, eine Salatkiste für den Bären in Kirchzarten. Ich lasse den Sprinter auf die Straße rollen, verlasse das Industriegebiet Haid. Das Ruckeln unter mir. Die Stadt schläft noch, die letzten Hochhäuser huschen vorbei. Dann Feldgeruch. Reihen von gelben Maissoldaten. Der Schwarzwald im Rückspiegel hüllt sich in Nebel. Ich fahre durch Waltershofen. Durch Merdingen. Hinter mir macht ein BMW Lichthupe, schert aus, schert wieder ein. Ich gehe vom Gas und nähere mich der Mittellinie. Erst hinter Ihringen donnert er hupend vorbei.
    Mittags muss ich noch eine Lieferung abholen. Während der alte Holpinger die Kürbisse und den Spinat einlädt, rauche ich eine Zigarette.
    Zu zweit würde es schneller gehen, keucht er.
    Ich denke, ihr seid hier alle so verbunden mit der Natur und eurem Kaiserstuhl, sage ich. Wofür braucht ihr diese ganzen Glashäuser?
    Man muss ja von was leben, sagt der Holpinger. Die Hosenträger seines Blaumanns hängen ihm bis zu den Knien. Auf seinen Unterarmen treten die Adern hervor.
    Es kommt darauf an, sage ich.
    Er hält inne, wischt sich das graue Haar aus der Stirn. Worauf kommt es an?
    Man kann auch von gar nichts leben. Aber dann halt nicht so lange.
    Er überlegt, nickt, fängt wieder an, die Kisten in den Sprinter zu stapeln.
    Ich seufze, schnippe die Zigarette in eine Pfütze und greife nach einer der Kisten neben dem Scheunentor. Es tut mir leid, sage ich, als ich sie neben ihm auf die Ladefläche wuchte.
    Was tut dir leid?
    Alles eben.
    Er lacht. Es gibt so Tage, sagt er.
    So Tage?
    Ja. Da tut einem alles leid.

    4    Am Nachmittag habe ich alles in der Halle ausgeladen und die Listen für morgen fertiggemacht. Eine Kiste mit Blumenkohl und Kürbis ist übrig. Eine halbe Stunde später biege ich in Theres’ Straße ein, parke. Von meiner Wohnung aus muss man nur an Rudis
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