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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein
Autoren: Matthias Nawrat
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Schränke. Dieser unangenehme Geschmack im Mund. In den Schränken nur Fertigsuppen, zwei verschrumpelte Äpfel, Mehl, Gewürze. In einer Schublade finde ich Karamellbonbons. Ich kann mich nicht erinnern, sie gekauft zu haben. Vielleicht der Vormieter.
    Hier, sage ich, als ich wieder an der Tür stehe.
    Sie beugen sich nach vorne, schauen in meine Handfläche.
    Haben Sie kein Obst?, fragt der Löwe.
    Oder Dattelschnitten?, fragt das Skelett.

    12    Der Schuhladen, in dem Theres arbeitet, ist auf halbem Weg zwischen ihrer und meiner Wohnung, direkt am Eschholzpark. Die Holztür knarzt, das Glöckchen schellt. Sie sitzt hinten in der Ecke und blickt auf, lächelt. Und ich habe wie immer das Gefühl, dass ich mich im Rumpf eines Schiffes befinde. Dass Theres hier täglich eine Reise macht, zu den Osterinseln vielleicht, oder nach Madagaskar. Die Kajüte ist eng und dunkel, sie sitzt auf der Pritsche, alles schwankt, sie hält einen Käfig mit einem Kolibri darin. In den Regalen finden sich Budapester, Loafer, Ballerinas, Norweger, Pumps, Blücher, nach Größen geordnet, alles sehr schick. Theres sitzt hinten und summt ein Chanson von Edith Piaf mit. Aus einem Kassettenrecorder plätschert das Padam, Padam, Padam.
    Schön, dass du mich mal wieder besuchst, sagt sie und gießt Wasser in eine Kanne. Wenn ich nur Französisch sprechen könnte. Manchmal höre ich genau hin, wenn sie singt. Ich strenge mich an, nehme mir fest vor, es zu verstehen. Es müsste doch möglich sein, es zu verstehen, wenn man nur will. Dann müssten die Worte doch aufblühen und sich mitteilen, das ist doch in ihrem Sinne. Aber es funktioniert nie. Sie sieht mir in die Augen, lacht, senkt den Blick.
    Wir könnten einen Französischkurs machen, sage ich. Was meinst du? Ich kann sogar ein paar Worte. Wusstest du, dass Piaf Spatz bedeutet?
    Wirklich?, fragt Theres. Das passt ja gut.
    In einer Ecke des Raums stehen unter einem Orangenbaum zwei Sessel aus rotem Leder und ein Glastisch. Die Orangen sind verkümmert, vielleicht, weil es hier so dunkel ist. Ich setze mich, Theres bringt den Tee, der ein wenig nach dem Dung der Schwarzwaldkühe riecht, aber das ist mir egal. In einem Regal links neben mir entdecke ich ein Städtchen aus gebogenem Dosenblech. Eine Kirche mit Turm, ein Brunnen auf einem Platz, Autos, ein paar Männlein mit Hüten.
    Ich habe eine Weile Dosen im Stadtpark gesammelt, sagt Theres. Hedi hat mir erlaubt, ein paar eigene Sachen zu verkaufen.
    Das hast du gemacht?
    Sie nickt.
    Theres, sage ich. Das ist sehr schön. Und was ist noch von dir? Ich stehe auf und gehe zwischen den Regalen umher. Der Geruch, der von den Schuhen aufsteigt: Lack, Schuhspray, Leder, chinesische Fabrik.
    Theres rutscht in ihrem Sessel hin und her. Setz dich doch wieder, sagt sie. Trink doch deinen Tee.
    Am Ende eines Gangs hebe ich eine Blume aus Draht in die Luft und zeige sie ihr.
    Bitte, sagt sie. Setz dich doch wieder. Trink deinen Tee.
    Ich setze mich wieder, trinke meinen Tee. Theres schaut auf den Boden.
    Die Holztür knarzt, das Glöckchen schellt. Ich trete auf die Straße. Ich schwitze am ganzen Körper von dem vielen Tee. Über mir dreht sich ein grauer Himmel um einen anderen grauen Himmel.
    Am Nachmittag bin ich beim Wächtle in Gottenheim, sein Sohn unterschreibt den grünen Schein. Er hat zwei Knopfreihen auf seinem persilweißen Bauch, wie ein Admiral.
    Der Wirsing ist ein bisschen blass, sage ich.
    Ist die Jahreszeit und der nasse Sommer, sagt er.
    Quatsch, sage ich. Mit dem Wirsing ist es wie mit allem. Entweder er ist grün, oder er ist nicht grün.
    Was ist das denn für eine Theorie?, sagt Jung-Wächtle und zündet sich eine Marlboro light an.
    Was denn?, rufe ich. Soll ich mit Breitengraden daherkommen? Oder mit der Hangschieflage? Oder mit Fruchtfolge in Kombination mit Grundwasserhärte und Einstrahlungsdauer?
    Was ist denn mit dir los?, sagt Jung-Wächtle und legt mir eine Hand auf die Schulter. Komm. Kannst Kürbissuppe probieren.

    13    Ich habe Theres Theaterkarten geschenkt. Romeo und Julia. Du schenkst mir Theaterkarten?, hat sie gefragt. Aber Theres. Das ist doch selbstverständlich. Nimm es doch als Dankeschön. Sie hat mich verwirrt angesehen. Aber dann lächelte sie. Ich liebe Romeo und Julia, sagte sie.
    Ich hole sie an ihrem Hauseingang ab. Sie trägt ein langes Kleid in Schwarz, darüber eine blaue Jacke. Sie hat die Haare hochgesteckt und hat rotgeschminkte Lippen. Ich habe sie noch nie so gesehen, ich weiß
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