Wir neuen Großvaeter
war für solche Unternehmungen noch zu klein, und Goethe schonte sie vermutlich auch, weil er ihre zarte Gesundheit nicht übermäÃig strapazieren wollte. Für ein besonderes Geschenk an die Enkel hielt er wohl ein Puppentheater, wie er selbst eines in Frankfurt besessen hatte.
In dem stattlichen Haus am Weimarer Frauenplan wurde Weihnachten besonders festlich gefeiert.
Nicht nur die Familie war anwesend, auch Gäste aus dem Herzogtum kamen zu den Vorstellungen, die der Geheimrat mit seinen Enkeln einübte. Zauberstücke wurden präsentiert, Gedichte aufgesagt und Lieder vorgetragen.
Auch noch in seinen letzten Lebensjahren war Goethe geradezu besessen von seiner Arbeit. Den 82. Geburtstag legte er als den Tag fest, an dem die letzte Zeile des Faust geschrieben werden sollte. Er verordnete sich strengste Disziplin und Abgeschiedenheit
von allen Zerstreuungen, zog »einen magischen Kreis« um sich, der ihn von den Menschen abschirmte. »Gegen alle Widerstände kämpft er«, schreibt die Biografin Sigrid Damm. »Nicht zuletzt gegen sein mit zunehmendem Alter sich verlangsamendes Arbeitstempo.« Und er schafft es. Sein Sekretär â der getreue Eckermann â bestätigt, »dass im August der ganze zweite Teil geheftet und vollkommen fertig dalag«.
Goethe ist bereit für seine letzte Reise, eine »Reise des Aus â und Aufatmens«. Es ist eine Reise in die eigene Vergangenheit.
Am frühen Morgen des 26. August 1831 öffnet sich das Haustor am Frauenplan in Weimar für eine Kutsche, in der neben dem Dichter und Staatsmann seine Enkel Platz genommen haben: der zehnjährige Wolfgang und sein dreizehn Jahre alter Bruder Walther. Vom Bock aus lenkt Wilhelm Heinrich König das Gespann; er ist 24 Jahre alt und seit neun Jahren im Haus beschäftigt. Sein Gehalt beträgt 48 Reichstaler, dazu kommen freie Kost, Unterkunft und Kleidung. Neben ihm sitzt Gottlieb Friedrich Krause, Goethes letzter Diener. Von ihm ist überliefert, dass er bisweilen den Papierkorb des Dichters plünderte und weggeworfene Notizen und Briefkonzepte an Sammler verkaufte. Brosamen eines Genies, die schon damals einen hohen Wert besaÃen.
Ãber diesen mehrtägigen Ausflug sind ausführliche Schilderungen in Goethes Tagebüchern vermerkt, wie er überhaupt seine Begegnungen mit den Enkeln gern dokumentiert.
So konnte die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Damm für ihr beeindruckendes Buch Goethes letzte Reise auf eine überbordende Fülle von Original-Zitaten zurückgreifen und Verständnis schaffen für den liebevollen GroÃvater Goethe, der seine Enkel als »heiteres Wetter« und als »angezündete Lichtlein« beschreibt. Zwei Kreidezeichnungen zeigen sympathische offene Gesichter. Aus Wolfs groÃen dunklen Augen glaubt Goethe herauszulesen, dass er »ein Dichter werde«. Walther dagegen wirkt eher nach innen gekehrt.
Die fünf Jahre alte Alma â auch von ihr gibt es ein Porträt â hat die gleichen dunklen groÃen Augen wie ihre Brüder. Doch bei diesem Ausflug mit der Kutsche ist sie nicht dabei. Es ist eine Männertour. Man kehrt in Gasthöfen ein, unternimmt kleine Wanderungen und Spaziergänge in die Thüringer Landschaft. Goethe genieÃt die letzten warmen Sommertage. »Sind ihm, der ohne liebende Gefährtin lebt, die Kinder, auch in ihrer körperlichen Nähe, eine Art Liebesersatz?«, fragt Sigrid Damm.
Der Aufenthalt des Dichters und seiner beiden Enkel in der kleinen Stadt Ilmenau spricht sich rasch herum. Als 25-Jähriger hatte er versucht, dort den Bergbau wiederzubeleben und damit soziale Sicherungen für die Bewohner der Gegend zu schaffen â um schlieÃlich unglücklich zu scheitern. Lebenslang hat er darüber geschwiegen. Jetzt ist er zurückgekehrt an den Ort, der fast ein Vierteljahrhundert lang einen erheblichen Teil seiner Energien verzehrte und einen nicht unerheblichen Teil seines Vermögens. Die staunenden Enkel erleben von ihrem GroÃvater eine Art Lebensbeichte.
Sieben Monate hat Goethe noch zu leben. Es zieht ihn mit den beiden Buben hinauf zum Gipfel des Kickelhahns, wo er einst mit Bleistift auf ein Brett im kleinen Jagdhaus sein berühmtes Gedicht schrieb: Ãber allen Gipfeln ist Ruh .
Als Johann Wolfgang von Goethe nach fünfzig Jahren den eigenen Sätzen wiederbegegnet, flieÃen dem Greis die Tränen über die Wangen, und er
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