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Wintersturm

Titel: Wintersturm
Autoren: Mary Higgins Clark
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meinem Büro?«
    Dorothy zögerte. »Sie denken, sie ist sehr hübsch… sie bewundern die Art, wie sie sich kleidet… sie sagen, sie ist immer sehr freundlich… und sie denken, daß sie sehr zurückgezogen lebt.«
    »Das ist sehr nett ausgedrückt. Ich habe gehört, wie über meine Frau gestichelt wurde, daß sie wohl glaube, sie sei zu gut für die Leute hier in der Gegend. Im Klub werde ich immer öfter gehänselt, warum ich nur die Mitgliedschaft für den Golfklub erworben hätte und warum ich nicht mal meine hübsche Frau mit herüberbrächte. In der vergangenen Woche rief jemand von Michaels Schule an und erkundigte sich, ob Nancy bereit wäre, in irgendeinem Komitee mitzuarbeiten.
    Unnötig zu sagen, daß sie abgelehnt hat. Im letzten Monat habe ich sie soweit gebracht, daß sie mit mir zu einem Empfang der Grundstücksmakler gegangen ist, aber als dann ein Gruppenbild gemacht wurde, war sie auf der Toilette.«
    »Sie hat Angst, erkannt zu werden.«
    »Das verstehe ich ja. Aber sehen Sie denn nicht ein, daß die Wahrscheinlichkeit, im Lauf der Zeit erkannt zu werden, immer geringer wird? Und selbst wenn jemand zu ihr sagte:
    ›Sie haben eine unwahrscheinliche Ähnlichkeit mit der jungen Frau in Kalifornien, die da angeklagt war wegen…‹ Sie verstehen schon, was ich meine, Dorothy. Für die meisten Leute wäre die Sache damit erledigt. Eine Ähnlichkeit. Punkt.

    Schluß. Du lieber Himmel. Denken Sie doch bloß an diesen Burschen, der da immer auftrat und für Whisky und Banken Reklame machte, diesen Doppelgänger von Lyndon Johnson.
    Ich war mit seinem Neffen bei der Armee. Manche Menschen sehen sich eben sehr ähnlich. So einfach ist das. Und wenn es je wieder einen Prozeß gibt, dann möchte ich, daß Nancy bei den Menschen hier Wurzeln geschlagen hat. Ich möchte, daß die Leute hier das Gefühl haben, Nancy ist eine von ihnen, damit sie Stimmung für sie machen. Denn wenn sie freigesprochen ist, wird sie hierher zurückkommen müssen und das alte Leben wieder aufnehmen. Das gilt für uns alle.«
    »Und wenn es zum Prozeß kommt und sie nicht freigesprochen wird?«
    »Diese Möglichkeit möchte ich einfach nicht in Betracht ziehen«, sagte Ray entschieden. »Nun, wie steht’s. Sind wir für heute abend verabredet?«
    »Ich würde wirklich sehr gern kommen«, sagte Dorothy.
    »Und im großen und ganzen stimme ich auch mit dem, was Sie gesagt haben, überein.«
    »Im großen und ganzen?«
    »Ja.« Sie blickte ihn fest an. »Ich glaube, Sie werden sich selbst fragen müssen, inwieweit Sie diesen plötzlichen Wunsch, ein normales Leben führen zu wollen, Nancys wegen verspüren oder inwieweit ihm andere Motive zugrunde liegen.«
    »Das heißt?«
    »Ray, ich war dabei, als der Staatssekretär von Massachusetts Sie drängte, in die Politik zu gehen, weil das Kap junge Männer von Ihrem Format als Repräsentanten braucht.
    Ich habe gehört, wie er sagte, er würde Ihnen jede mögliche Hilfe und Unterstützung gewähren. Es ist schon ganz schön schwer, ihn hier nicht beim Wort nehmen zu können. Aber wie die Dinge liegen, können Sie das nicht. Und das wissen Sie auch.«
    Dorothy verließ das Zimmer, ohne ihm eine Möglichkeit zu einer Antwort zu geben. Ray trank den Kaffee aus und ließ sich an seinem Schreibtisch nieder. Sein Ärger und seine Gereiztheit und die Spannung fielen von ihm ab, und er fühlte sich niedergeschlagen und schämte sich vor sich selber.
    Natürlich hatte sie recht. Er wollte auch nicht so tun, als ob da nicht eine Drohung auf ihnen lastete, als ob alles in bester Ordnung wäre. Aber er hatte auch verdammt starke Nerven. Er hatte genau gewußt, worauf er sich einließ, als er Nancy geheiratet hatte. Und sie hätte es ihm bestimmt klargemacht, wenn er es nicht ohnehin gewußt hätte. Sie hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, ihn zu warnen.
    Mit leerem Blick starrte Ray auf die Postsachen auf seinem Schreibtisch. Er dachte daran, daß er in den vergangenen Monaten auch Nancy ein paarmal so grundlos angeraunzt hatte wie Dorothy heute morgen. Wie er reagiert hatte, als sie ihm das Aquarell zeigte, das sie von ihrem Haus gemalt hatte. Sie müßte eigentlich Kunst studieren. Jetzt schon war sie so gut, daß sie auf lokaler Ebene ausstellen konnte. Er hatte gesagt:
    »Es ist hervorragend. Aber – in welchem Geheimzimmer wirst du es denn jetzt verstecken?«
    Nancy hatte so verletzt ausgesehen, so hilflos. Er hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Er hatte sich
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