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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind
Autoren: L Mer
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Bewegung, schluchzend, schwankend, zielstrebig auf den Turm zu. Marek versuchte, ihn aufzuhalten, aber Willem schüttelte ihn ab.
    „Helft mir“, brüllte Marek die anderen Männer an, „helft mir doch!“
    Sie zögerten.
    „Vielleicht kann er es schaffen“, murmelte einer. „Er hat noch immer alles hingekriegt, Marek. Und durch so eine doppelte Tür brennt das Glas sich nicht so leicht, selbst, wenn die ganze Wanne ausläuft …“
    „Bist du irre? Der Turm kann jeden Moment hochgehen!“
    Der andere schüttelte den Kopf. „Vielleicht schafft er es“, beharrte er, und das Murmeln der Umstehenden gab ihm recht.
    „Wir brauchen die Hütte“, brummte ein anderer. „Wir müssen versuchen, sie zu retten.“
    „Um jeden Preis?“, fragte Marek rau. Keiner antwortete.
    Marek wischte sich über das Gesicht. Dann rannte er los, plötzlich, unvermittelt, und warf sich Willem in den Rücken. Der große Mann taumelte, schwankte, aber er fiel nicht.
    „Willem“, schrie Sophie, „Willem, hör auf! Hör auf! Bitte!“
    Willem drehte sich ruckartig, so heftig, dass Marek von seinem Rücken losgerissen wurde und zurücktaumelte. Als er sich wieder auf Willem stürzen wollte, löste Willem eine Hand von der Tür, holte aus und schlug Marek mit aller Kraft ins Gesicht. Noch während der andere Mann zu Boden ging, packte er die Tür schon wieder mit beiden Händen, wuchtete sie hoch und rannte mit langen Schritten auf den Turm zu.
    „Oh Gott“, stammelte Sophie, „oh Gott!“
    Willem verschwand im Turm.
    Die Arbeiter schienen den Atem anzuhalten. Stille senkte sich auf den Vorplatz. Nur der Wind zischte weiter über ihre Köpfe, und die Schneeflocken fielen, stumm und gleichmütig.
    „Er könnte es schaffen“, murmelte einer. Niemand antwortete.
    Irgendwo krachte etwas. Sophie stellte sich auf die Zehenspitzen, versuchte herauszufinden, woher das Geräusch gekommen war. Es hatte etwas an sich gehabt – etwas Metallisches …
    „Nicht die Zwischentür“, murmelte Marek. „Bitte, nicht die …“
    Ein ungeheurer Knall zerfetzte die Luft ---

    – – – schleuderte Johannas Kopf nach hinten, dröhnte in ihren Ohren wie ein ungeheurer Gong. Kalte Flüssigkeit spritzte ihr ins Gesicht, sie riss die Augen auf, sah die Gestalt vor sich in die Höhe fahren, die weiße Stirn mit Wucht gegen den Rand des steinernen Bassins stoßen.
    „Nein!“, schrie Johanna – – –

    – – – „Nein“, schrie Sophie, als es sie von den Füßen riss. Grellrotes Licht schoss im Turm nach oben, vollkommen lautlos zuerst; dann brüllten die Flammen auf, geiferten aus der offenen Turmtür, rasten im Innern in die Höhe, und es regnete Ziegeltrümmer und Feuer auf den Vorplatz.
    „Willem!“, kreischte Sophie, ohne sich selbst hören zu können, „Willem! Oh Gott, Willem!“

    Es ist so dunkel, dachte Blanka. So dunkel und so still. Nur der Schnee fällt, ich höre ihn wispern. Er legt sich auf meine Haare, leicht wie Federn.
    Warum ist es so dunkel?
    Mach die Augen auf, Liebste.
    „Ich kann nicht“, murmelte Blanka. „Ich fürchte mich so sehr.“
    „Mach die Augen auf, sieh mich an, und wenn du dann sagst, dass ich gehen soll, gehe ich und komme niemals wieder. Willst du, dass ich gehe?“
    Schneeflocken setzten sich auf ihre Wimpern. Blanka blinzelte. Da waren warme Augen, ganz dicht vor ihren eigenen. Sie strahlten und leuchteten und hielten sie mit ihrem Blick, wie in einer Umarmung.
    „Geh nicht“, flüsterte Blanka.
    „Geh nicht“, flüsterte das junge Mädchen. „Mir wird so kalt, wenn du nicht bei mir bist.“
    Der junge Mann schlang seine Arme fester um das Mädchen.
    „Du frierst, Liebste“, sagte er besorgt. „Ich weiß, es ist Winter, der Schnee liegt tief, selbst hier, zwischen den Bäumen. Ich hätte dich nicht bitten dürfen, herzukommen.“
    „Nein“, flüsterte das Mädchen.
    „Nein“, sagte der junge Mann.
    Sie küssten sich wieder, und wieder, und wieder, und der Kuss schmeckte wie ein Sommermorgen, als sie umschlungen zu Boden sanken. Die Bäume reckten ihre Zweige über sie wie ein schützendes Dach, das alte Laub unter dem Schnee empfing sie weich. Der junge Mann zog seinen Mantel um sie beide, und dann verstummten sie, eine lange Zeit, während ihre Körper anfingen, miteinander zu reden. Es war eine geheime, eine fremde Sprache. Aber sie verstanden sie beide, ohne nachzudenken.
    „Oh“, sagte das Mädchen irgendwann, so leise, dass die Schneeflocken das Geräusch mit sich fortnahmen.
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