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Wilsberg 03 - Gottesgemuese

Wilsberg 03 - Gottesgemuese

Titel: Wilsberg 03 - Gottesgemuese
Autoren: Juergen Kehrer
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Ganze überhaupt keinen religiösen Charakter. Stocker verstand sich als Therapeut. Er ›trainierte‹, wie er es nannte, Neurosen und psychosomatische Störungen. Allerdings gab es von Anfang an merkwürdige Elemente in seiner Lehre. So meinte er, dass er auch vorgeburtliche Störungen trainieren könne. Und kurz darauf verkündete er, dass er eine Störung aus einem früheren Leben eines Patienten trainiert habe.
    Kritiker sagen, Stocker habe die KAP nur gegründet, um Steuern zu sparen. Religiöse Vereinigungen genießen steuerrechtliche Vorteile. Außerdem sind die staatlichen Kontrollen nicht so scharf.
    Jedenfalls war die Gründung der KAP für Stocker ein voller Erfolg. Anhänger von ihm gründeten KAP-Zentren in Westeuropa und den Vereinigten Staaten. Mittlerweile gibt es weltweit mehrere Millionen Mitglieder.
    Der Trick, mit dem man auf Mitgliederfang geht, ist simpel, aber wirkungsvoll. Wer sich für Stocker und das ›Geistige Training‹ interessiert, bekommt einen Fragebogen, den er ausfüllen soll. Als Ergebnis kommt heraus, dass er schwere geistige Störungen hat. Doch die Rettung wird gleich mit angeboten: Sie heißt ›Geistiges Training‹. Erst nach mehreren Trainingskursen fängt der Trainer an, Druck zu machen. Es reiche nicht aus, nur zu trainieren, man müsse auch für die Kirche aktiv werden.«
    Sie sagte das alles ruhig und sachlich, so, als rede sie über die Vorbereitungen für die nächste Gartenparty.
    »Woher haben Sie diese Informationen? Von Ihrem Mann?«
    Sie lachte wieder das kurze und dunkle Lachen. »Mein Mann ist von der KAP begeistert. Als ich anfing, mir Sorgen zu machen, habe ich mir Bücher über die KAP besorgt. Kritische Bücher. Ich wollte, dass Martin sie liest, aber er hat mich nur ausgelacht. ›Alles Lüge‹, sagte er. ›Die Bücher sind von bösen Menschen geschrieben worden, die der KAP schaden wollen.‹«
    Draußen hatte die Dämmerung eingesetzt, und der Raum lag bereits im Halbdunkel. Anja Kunstmann schien das nicht zu bemerken.
    »Wie funktioniert das ›Geistige Training‹?«, fragte ich.
    »Es ist ein Frage-und-Antwort-Spiel, das nach genau festgelegten Regeln erfolgt. Der Trainer führt den ›Unfreien‹, so heißt das in der KAP-Sprache, zu einer Erinnerung, die negativ besetzt ist. Dann durchläuft der Unfreie diese Erinnerung immer wieder, bis sie ihren unangenehmen Charakter verliert. Es gibt verschiedene Trainingskurse, die aufeinander aufbauen. Insgesamt sieben. Wer den siebten Trainingskurs besteht, hat den Zustand der ›Freiheit‹ erreicht. Er ist dann angeblich frei von schmerzhaften Erinnerungen und seelischen Leiden. Darüber gibt es die Klassen der Geistwesen.«
    »Die was?«
    »Geistwesen Klasse I bis Klasse XII. Als viele seiner Anhänger den Zustand der Freiheit erreicht hatten, musste sich Stocker etwas Neues einfallen lassen. Also erfand er die Geistwesen. Ein Geistwesen Klasse XII soll sich außerhalb seines Körpers bewegen und Telekinese betreiben können.«
    »Hat das schon mal jemand gesehen?«
    »Nur KAP-Mitglieder aus dem inneren Führungszirkel.«
    »Auf welcher Stufe befindet sich Ihr Mann im Moment?«
    »Er hat den Zustand der Freiheit erreicht und ist nach England gefahren, um zum Geistwesen Klasse I zu werden.«
    »In dem Schloss südlich von London?«
    Sie nickte. »Die Geistwesen-Kurse finden ausschließlich dort statt.«
    »Lebt Stocker eigentlich noch?«
    »Nein. Offiziell wurde er vor fünf Jahren für tot erklärt. Vermutlich ist er viel früher gestorben.«
    Plötzlich sprang sie auf. »Entschuldigen Sie bitte! Ich lasse Sie hier im Dunkeln sitzen.«
    »Darf ich Ihnen etwas zu essen anbieten?«, fragte sie von der Tür aus.
    Ich blinzelte in das grelle Licht. »Nein, danke. Ich würde gerne mehr über Ihren Mann erfahren. Wo bewahrt er seine Unterlagen auf?«
    »Sein Arbeitszimmer ist oben«, sagte sie und zeigte auf die Wendeltreppe.
    Das Arbeitszimmer von Professor Kunstmann sah aus wie jedes x-beliebige Arbeitszimmer: überfrachtet mit Büchern und Aktenordnern, auf dem Schreibtisch stand ein Computer, und in den Ecken lagen Stapel vergilbter Papiere. Das einzig Auffällige war das Bild eines Mannes um die sechzig, mit vollem blondem Haar und rosigen Wangen, das an der Wand über dem Schreibtisch hing. Unter dem Bild befand sich ein Kreuz mit merkwürdigen Zacken.
    Ich betrachtete den Mann genauer. Er war mir unsympathisch.
    »Ist das Stocker?«, fragte ich Anja Kunstmann, die hinter mir stand.
    »Ja. In der KAP
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