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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville
Autoren: T. C. Boyle
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hatte. Aber während er so dastand und sich die Fetzen seiner Kleider langsam mit seinem Blut vollsaugten und George leise von ihm wegtauchte, wußte er, daß er Kraft daraus ziehen würde. Denn er war kein Schwächling, er war kein George. Er war John Harvey Kellogg, und er würde ewig leben.

KODA
    C. W. Post, der Mann, der der Welt Postum, Grape-Nuts und aufdringliche Werbung beschert hatte, war der erste der Gesundheitsapostel, der sich ins Unvermeidliche fügen mußte. Er konnte sich nie wirklich der Magenprobleme entledigen, die ihn 1891 zu Dr. Kellogg geführt hatten, obwohl positives Denken und die Anhäufung eines Privatvermögens, das ihn zu einem der wohlhabendsten Männer des Landes machte, dazu beitrugen, sie eine Weile in Schach zu halten. Er war groß, dynamisch, der photogenste und opportunistischste der Frühstückskostbarone von Battle Creek, und seine konstitutionelle Schwäche bekämpfte er mit Broschüren und Slogans (Grape-Nuts: Es gibt einen Grund dafür; Postum: Macht das Blut rot), und 1904 gönnte er sich einen zweiten Frühling, indem er sich von seiner Hosenträger nähenden Frau scheiden ließ und seine Sekretärin heiratete, die naiv und dreißig Jahre jünger war als er. Als 1914 sein Blinddarm rebellierte, wurde er eilig in einem Sonderzug von seinem Zuhause in Santa Barbara nach Rochester, Minnesota, gebracht, wo die Brüder Mayo in einer Notoperation den Blinddarm entfernten, während die halbe Welt den Atem anhielt. Die Operation verlief erfolgreich, behandelte aber nur die Spitze des Eisbergs. Charlie Post war krank, krank am Herzen, krank am Magen. Am neunten Mai desselben Jahres setzte er in seinem Schlafzimmer, das auf das flatternde Banner des Pazifiks hinausging, eine Flinte an seinen Solar plexus und allem ein Ende. Er war neunundfünfzig Jahre alt.
    Battle Creek betrauerte sein Dahinscheiden. Häuser wurden mit schwarzem Krepp behangen, Läden und Fabriken blieben geschlossen, tausend Postum-Angestellte formierten sich zu einer Ehrengarde, während der Trauerzug durch die dicht mit Leidtragenden gesäumten Straßen rollte. Es war ein schmerzensreicher Tag für Battle Creek, obschon die Brüder Kellogg – insbesondere Dr. Kellogg – einen kleinen, privaten Schauder des Triumphes verspürten. Die Gesundheitsarena, die gerade noch überfüllt gewesen war, schien plötzlich um einiges geräumiger.
    Wenn Dr. Kellogg seinem Rivalen keine Träne nachweinte, so tat es Charlie Ossining. Die Nachricht erreichte ihn in Paris, wo er in Saint-Germain-des-Prés mit seiner Schweizer Frau Marie-Thérèse lebte, der Tochter eines Botschafters, die fünf Sprachen sprach, Musik komponierte, Gedichte verfaßte und für viele damals intellektuell führende Zeitschriften schrieb. Charlie besaß zudem ein Stadthaus in Zürich und ein hundert Hektar großes Landgut im Norden von Westchester, wo er sechs Monate im Jahr verbrachte, sich um die Per-To-Geschäfte kümmerte und unter seinem Geburtsnamen, Charles Peter McGahee, lebte. Beide Häuser waren geräumig und weitläufig, ebenso wie die Wohnung in Saint-Germain-des-Prés, und alle drei verfügten über ein Zimmer, das ausschließlich dem Billardspiel diente. Und in der Tat beugte sich Charlie gerade über den Billardtisch – er spielte um einen kleinen Einsatz mit dem Baron Thierry de Villiers –, als das Telegramm aus New York eintraf.
    Die Nachricht von C.W. Posts Tod traf ihn hart. Der Baron berichtete später, daß Charlie, nachdem er das Telegramm gelesen hatte, seine Flöte mit Pommery & Greno abstellte, das Queue behutsam an das Bücherregal lehnte und in Tränen ausbrach. Neben Lydia Pinkham und dem anonymen Erfinder der Gedächtnistabletten war ihm Charlie Post immer Inspiration und leuchtendes Vorbild gewesen, und mehr als allen anderen hatte er ihm nachgeeifert. Tagelang war er durcheinander und ratlos. Seine erste Regung war, eine Schiffspassage nach New York zu buchen und von dort mit dem Zug nach Battle Creek zur Beerdigung zu fahren, aber sowohl seine Frau wie auch der Baron redeten es ihm aus – in höchstens drei Tagen wäre die Leiche des Frühstücksflockenkönigs aus Santa Barbara überführt, und sie wäre längst unter der Erde, wenn Charlie einträfe. Widerwillig gab er ihnen recht. Aber viele Jahre später, als er selbst ein alter Mann war, unternahm Charlie Ossining eine Wallfahrt nach Battle Creek, in die Stadt, die ihn beflügelt und zurückgewiesen hatte, und stellte sich vor das große Marmormausoleum im Oak
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