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Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen

Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen

Titel: Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
Autoren: Pierre Pevel
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darboten.
    Keiner hatte den Schuss gehört, aber alle sahen, wie die Seelenkugel in milchweiße Splitter zerbarst.
    Die Vicomtesse schrie auf und brach zusammen. Die Anwesenden erstarrten völlig erschüttert. Sassh’Krecht stieß ein tiefes Brüllen aus, das alles erzittern ließ. Er war des Reliquienschreins entledigt worden, bevor er vollends Gestalt annehmen konnte, und wand sich nun im Angesicht des Feuers wie ein gefangenes Tier.
    Gagnière war der Erste, der sich wieder fasste. Er eilte zu der reglosen Malicorne und kniete sich neben ihr hin. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie noch atmete, sah er sich suchend um. Er versuchte zu verstehen, was geschehen war.
    War das Ritual gescheitert?
    Der Himmel hatte sich verfinstert. Der Geisterdrache brüllte noch immer und wand sich vor Schmerz. Von seinem Körper hingen Fetzen wie Nebelschwaden. In der Ferne
hörte man dumpfes Gewittergrollen, und rotgoldene Blitze zerrissen die Finsternis. Sassh’Krechts Macht suchte sich ein Ventil.
    Gagnière bemerkte den Dragun der Vicomtesse, der aufgeregt um sie herumflatterte. Das Tier stieß ein wütendes Fauchen aus und flog dann in Richtung Burgfried davon. Er folgte ihm mit dem Blick und sah die kleine Rauchfahne aus einer der Schießscharten aufsteigen.
     
    Agnès hielt noch die rauchende Pistole in der Hand, als sie die Treppe des Turms hinunterrannte, von dem aus sie die Zeremonie verfolgt und dann gefeuert hatte. Ihr war bewusst, was dort vor sich ging. Da sie sowieso Zweifel daran hegte, den nächsten Tag zu erleben, hatte sie sich entschlossen, vorher so viel Schaden wie möglich anzurichten. Auf dem Höhepunkt der Zeremonie war sie schließlich eingeschritten.
    Nun ging es ums nackte Überleben. Vielleicht gelang ihr doch noch die Flucht.
    Sie rannte Etage um Etage nach unten. Als sie im ersten Stock angekommen war, vernahm sie ihr eilig entgegenkommende Schritte. Sie fluchte, riss einen alten Wandbehang herunter und warf ihn wie ein Fischernetz über die Ersten, die sie auf den Stufen erblickte. Dann holte sie zu einem heftigen Fußtritt aus, mit dem sie einem der Häscher den Kiefer zertrümmerte. Der taumelte rückwärts und riss im Fallen die anderen Kameraden mit, die unter dem staubigen Laken zappelten. Diejenigen, die hinter ihnen nach oben drängten, mussten zurückweichen. Dann war Saveldas wütende Stim me zu hören.
    Agnès machte sofort kehrt und stürzte, mehrere Stufen
auf einmal nehmend, wieder nach oben. Als einziger Ausweg blieb ihr nun nur noch, die Spitze des Turms und schließlich den Wehrgang des Burgfrieds zu erreichen. Da tauchte plötzlich ein einzelner Wachposten vor ihr auf. Blitzschnell zog sie den Degen und wehrte seine Klinge ab. Dann stieß sie ihm mit voller Wucht den Pistolenkolben zwischen die Beine und schubste ihn die Treppe hinunter. Mit einem Knacken brach er sich den Hals.
    Saveldas Männer waren ihr bereits dicht auf den Fersen. Als sie die oberste Etage betrat, packte sie plötzlich jemand an der Schulter und zog sie hinter einen Wandbehang und durch die kleine Geheimtür, die sich dahinter verbarg. Plötzlich befand sich Agnès im Halbdunkel eines engen Durchgangs fest an einen Unbekannten gepresst, der ihr zuraunte: »Still!«
    Sie hielt den Mund und rührte sich nicht, während sie hinter der Tür die Schritte ihrer Verfolger vernahm, die sich rasch zum Wehrgang begaben.
    »Ich heiße Laincourt. Habt keine Angst.«
    »Warum sollte ich bitte Angst haben?«
    Tatsächlich, Laincourt spürte die Klinge eines Dolches zwischen seinen Schenkeln.
    »Ich stehe im Dienst des Kardinals«, flüsterte er.
    »Man sucht Euch, Monsieur.«
    »Dann haben wir ja etwas gemeinsam. Wie lautet Euer Name?«
    »Agnès. Ich dachte, ich hätte kurz vor der Zeremonie einen Schuss gehört. Wart Ihr das?«
    »Nicht ganz. Kommt, sie werden uns sicher bald auf die Schliche kommen.«
    Möglichst lautlos eilten sie den dunklen Gang entlang.

    »Ihr seid verwundet«, bemerkte Agnès, als sie das Blut an seiner Schulter sah.
    »Nicht ich habe geschossen.«
    »Könnt Ihr die Schulter bewegen?«
    »Ja. Sie wurde nicht zerschmettert. Es ist ein glatter Durchschuss. Nichts Schlimmes.«
    Sie öffneten eine kleine Tür und traten in einen Korridor. Durch quadratische Öffnungen zum Hof fiel ein wenig Licht, und der Gang war so niedrig, dass sie nur gebückt vorwärts kamen.
    »Dieser Weg befindet sich direkt unter dem Wehrgang. Er führt zum Nachbarturm. Dort wird man uns sicher noch nicht
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