Wiedersehen in Barsaloi
ineinander geschichtet, um vor Regen zu schützen. Vor der Hütte liegen meist ein zusammengerolltes Kuhfell, aufgeschichtetes Feuerholz und ovale Weidenholzgeflechte, die bei einem fälligen Umzug als Tragrahmen auf den Rücken von Eseln gebunden werden. Dazwischen muss das gesamte Hab und Gut Platz finden.
Rund um die Manyattas picken Hühner im rotbraunen Sandboden. Ich staune über die Hühnerschar, denn bei den Samburu ist es eigentlich absolut unüblich, Federvieh zu halten. Als ich mit dem ersten Huhn ankam, reagierten alle mit heller Aufregung. Niemand wusste, was ich mit diesem für sie unnützen Tier anfangen wollte. Sie aßen damals weder Hühnerfleisch noch Eier, und Mama sah deshalb nur das Problem, wie sie es vor wilden Tieren schützen könne. Zusätzlich hatte sie die Sorge, dass das Huhn Raubvögel anziehen würde, was für die kleinen Zicklein gefährlich gewesen wäre. Und nun laufen hier mindestens zehn Hühner herum. Als ich James mein Erstaunen mitteile, meint er schmunzelnd: »Du hast uns doch gezeigt, was wir mit diesen Tieren anfangen können! Meine Frau kocht jetzt ab und zu mit Eiern. Was wir nicht essen, verkaufen wir in unserem kleinen Shop den Missionsschwestern.« Schon wieder eine interessante Neuigkeit! Zu Pater Giulianis Zeit gab es keine Schwestern hier.
Mama
James unterbricht meine Gedanken und sagt: »Ich zeige dir alles später, denn jetzt begrüßen wir zuerst Mama. Wir stehen direkt vor ihrer Hütte.« Dabei zeigt er auf eine mannshohe Manyatta. Gerade möchte ich mich bücken und in den kleinen Eingang kriechen, als James mich zurückhält und flüstert: »Nein, nein, lass Mama herauskommen, sonst könnt ihr euch in der engen Hütte und dem beißenden Rauch gar nicht richtig begrüßen, und Mama hat einen Grund, wieder einmal aus der Hütte zu kommen.«
Er spricht ein paar Maa-Sätze in Richtung des Eingangs und dann höre ich, wie sie sich aufrappelt, um kurz darauf in gebückter Haltung aus der Manyatta zu kommen. Endlich steht sie vor mir – nach über vierzehn Jahren! Überwältigt stelle ich fest, dass sie sich in der langen Zeit kaum verändert hat. Ich hatte sie mir viel älter und schwächer vorgestellt. Stattdessen steht mir eine stattliche und überaus würdevolle Mama gegenüber. Wir strecken uns die Hände entgegen und, während diese ineinander greifen, schauen wir uns stumm und doch vielsagend an.
Mein Gott, was hat diese Frau für eine Aura! Ich versuche, in ihren leicht trüben Augen zu lesen. Es entspricht nicht der Kultur der Samburu, sich überschwänglich in die Arme zu fallen und Gefühlsregungen zu zeigen. Starke Gefühle versuchen sie zu unterdrücken und schauen dabei ernst und regungslos vor sich hin. Wir halten uns immer noch an den Händen und es kommt mir wie eine Ewigkeit vor.
Ich möchte ihr so gerne sagen, wie wichtig mir dieser Besuch ist. Dass ich all die Jahre intensiv gehofft habe, ihr eines Tages noch einmal gegenüberstehen zu dürfen. Dass ich sie immer in meine Gebete mit eingeschlossen habe. Dass sie zu den wichtigsten Menschen in meinem Gefühlsleben gehört und noch vieles mehr. Stattdessen stehe ich stumm da und kann nur mit dem Ausdruck meiner Augen und dem Herzen sprechen.
Plötzlich streckt sie ihre rechte Hand aus, ergreift mein Gesicht, drückt zärtlich mein Kinn und flüstert: »Corinne, Corinne, Corinne!« Dabei lächelt sie glücklich. Jetzt ist der Bann gebrochen. Ich umarme sie und kann nicht anders, als ihr einen Kuss auf ihr graues Haupt zu drücken. In diesem Moment bin ich unbeschreiblich glücklich darüber, dass ich den Mut gefunden habe, hierher zurückzukommen. Ich spüre, dass es auch für sie ein sehr bewegender Moment ist.
Für einen kurzen Augenblick schweifen meine Gedanken zu unserer ersten Begegnung zurück. Nachdem ich damals nach langer und abenteuerlicher Suche Lketinga endlich hier in Barsaloi gefunden hatte und wir uns nach einer freudigen Begrüßung in der Manyatta auf dem Kuhfell sitzend aufgeregt und glücklich unterhielten, betrat Mama in gebückter Haltung ihre Hütte. Sie setzte sich uns gegenüber und schaute mich stumm und, wie mir schien, düster an. Zwischen uns war nur die rauchende Feuerstelle. Wie heute forschten unsere Blicke im Gegenüber und versuchten minutenlang, im Gesicht der anderen zu lesen. Damals brach sie den Bann, indem sie mir ihre Hand zur Begrüßung entgegenstreckte, heute berührte sie mein Gesicht.
Aufgewühlt und ergriffen von der Begegnung mit Lketinga und mit
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