Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
Autoren: Maike Maja Nowak
Vom Netzwerk:
türkischen Bäcker, der kurz darauf öffnen wird, und wartet. Nähere ich mich, senkt sie den Kopf und starrt auf das Straßenpflaster. »Guten Morgen«, grüße ich sie seit einem Jahr. Wie jedes Mal schaut sie hoch und strahlt, als hätte ich mit diesem Gruß einen Lichtschalter in ihr betätigt. Gleich darauf sieht sie nach unten, und das Licht geht wieder aus. Es ist unmöglich, ihren Blick festzuhalten.
    Morgens kauft sie eine Schrippe, die ihr der türkische Bäcker unaufgefordert reicht, und geht zurück auf den Arnimplatz. Gegen 13 Uhr treffe ich sie vor einem türkischen Imbiss, in den sie hineingeht und aus dem sie mit einem belegten Brötchen wieder herauskommt. Am Nachmittag ist ihr Stammlokal ein kleiner Lebensmittelladen, in dem sie eine Tafel Schokolade kauft.
    Eines Tages ändere ich mein Verhalten und gehe an ihr vorbei, ohne zu grüßen. Nach ein paar Metern höre ich ihre Stimme: »Ach, ist der süß. Er hat ja nur ein weißes Pfötchen.« Ich drehe mich um und sehe, dass sie auf Viktor zeigt. »Sie haben ein schönes Kleid«, sage ich. Sie schaut erschrocken an sich herunter und streicht mit beiden Händen über den Stoff. Danach wendet sie sich ab, als hätte ich ein sehr intimes Thema berührt.
    »Sagen Sie, wo schlafen Sie eigentlich?«, frage ich sie später am Abend auf ihrer Parkbank. Es ist ihr sichtlich unangenehm, dass ich sie so direkt anspreche und eine Antwort erwarte. Sie wendet den Kopf verlegen von links nach rechts, entschließt sich dann aber doch zu antworten.
    »In meiner Wohnung.« Sie deutet mit der Zigarette in eine unbestimmte Richtung. »Ich gehe nur zum Schlafen heim, seit mein Mann tot ist. Was soll ich dort? Da bin ich nur allein.« Sie riecht nach längerem Ungewaschensein, und beim näheren Hinschauen sehe ich, das sich das grüne Kleid an vielen Stellen aufzulösen beginnt.
    »Hier an der Ecke ist ein Seniorentreff, die organisieren viele Veranstaltungen. Dort könnten Sie andere Menschen treffen und vielleicht neue Freundschaften schließen.«
    »Nein, nein.« Sie winkt fast angewidert ab und beugt sich, in Deckung gehend, nach vorn. Viktor, der sich nun auf Augenhöhe mit ihr befindet, fasst dies als Kontaktsuche auf und geht schwanzwedelnd auf sie zu. »Na, du Hund?«, sagt sie verlegen. Viktor leckt eine ihrer Waden ab. Gründlich.
    »Du magst mich ja«, sagt sie erstaunt und streichelt seinen weichen Fellrücken. Viktor legt die Vorderpfoten auf ihren Schoß und hält den Kopf schief. Die alte Frau strahlt, und diesmal bleibt das Licht in ihr an, bis wir uns entfernen.
    Einige Tage darauf beginnt sie Leckerlis zu präsentieren, sobald wir uns nähern. Viktor lernt diese Futterquelle schnell zu schätzen, und ich lasse ihn gewähren, um die Kontaktversuche der alten Frau nicht zu stören. Sie streichelt ihn und flüstert Zärtlichkeiten, die mich offenbar nichts anzugehen haben. Ich halte mich diskret zurück.
    Dann verschwindet die alte Frau. Ihr Anblick ist derart Teil meines Lebens geworden, dass ihr Fehlen mich sehr beunruhigt. Ist ihr etwas zugestoßen? Liegt sie hilflos in ihrer Wohnung? Ich weiß nicht einmal, wie sie heißt. Ich halte sechs Tage Ausschau nach dem grünen Kleid und hätte sie daher fast nicht erkannt, als sie wieder auftaucht. Das grüne Kleid ist verschwunden. Sie trägt nun ein einfaches blaues Kleid mit kleinen gelben Blumen. Ihre rechte Hand, in der sie sonst die Zigarette hält, umfasst eine Hundeleine. An deren Ende tippelt ein winziges Hündchen von brauner Farbe. Es sieht in regelmäßigen Abständen zu ihr auf, und auch sie hat ihren Blick auf das Hündchen gerichtet. Sie bemerkt uns erst, als wir aufeinandertreffen.
    »Sie haben ja einen Hund? Ich habe mir schon Sorgen gemacht, weil ich Sie so lange nicht mehr gesehen habe. Wo waren Sie denn?«, sprudelt es aus mir heraus.
    »Ja, das ist mein Benno. Den habe ich aus dem Tierheim. Er ist umgerechnet genauso alt wie ich«, sagt sie mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme.
    »Aber warum habe ich Sie denn gar nicht mehr getroffen in der letzten Woche?«
    Sie blickt mich nachsichtig an: »Aber jetzt bin ich doch nicht mehr allein. Da kann ich doch auch gemütlich zu Hause bleiben.«

Kleine Menschen- und Hundekunde
    Ein paar Worte vorab
    Ich verfasse nur ungern Tipps, die das Missverständnis, es gäbe eine Betriebsanleitung für Lebewesen, noch größer werden lassen könnten. Ich beschreibe Hunde, Menschen und Lebenssituationen rein individuell, und ich kenne keinen »Fall« in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher