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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
Autoren: Maike Maja Nowak
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ähnlich vor. Vor allem dann, wenn wir Hunde in der Hundeschule auf einer riesigen Freifläche zwingen, aufeinander zu- und eng aneinander vorbeizugehen, obwohl genügend Raum zum Ausweichen wäre. Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Wolfshündin, die mit einer jungen Frau an einem meiner Seminare teilnahm. Die Wolfshündin (halb Wolf, halb Schäferhund) hatte ihrer Abstammung entsprechend ein sehr ursprüngliches Wesen. Die junge Frau berichtete, ihr einziges Problem sei, dass sie das Gefühl habe, der Hund vertraue ihr bei Hundebegegnungen nicht, denn er würde in einem solchen Fall immer sehr weit ausweichen und sich dabei von ihr entfernen. Das geschehe vor allem im Freilauf. An der Leine gehalten, ziehe die Hündin bei Hundebegegnungen zur Seite weg, da sie ja nicht weiter ausweichen könne. Die Frau wollte lernen, wie sie die Wolfshündin im Freilauf so führen könne, dass diese bei ihr bliebe und sich von ihr beschützt fühle. Weil ich bei der Wolfshündin auf dem Trainingsgelände keinerlei Berührungsängste mit Artgenossen entdecken konnte, sah ich mir neugierig das Ganze auf einem breiten Waldweg an. Ich ließ einen fremden Hund aus dreihundert Meter Entfernung auf die freilaufende Wolfshündin und die junge Frau zukommen. Die Wolfshündin ging, sobald der Hund in Sichtweite war, einen großen Bogen durch das Unterholz um diesen herum und schloss dann wieder zu der jungen Frau auf, die den Weg weitergelaufen war. Das alles tat sie völlig ruhig und entspannt. Angst konnte ich bei ihr nicht entdecken.
    Ich bat die junge Frau, das Ganze mit einem neuen, ihnen entgegenkommenden Hund zu wiederholen, und auf mein Rufzeichen hin – eine Hundertstel Sekunde eher als die Wolfshündin – den Bogen selbst anzubieten. Wieder liefen die beiden den Waldweg entlang, und ich beobachtete die Wolfshündin. In dem Moment, in dem ein kurzer Blick von ihr anzeigte, dass sie den entgegenkommenden Hund wahrgenommen hatte, rief ich: »Und jetzt.« Die junge Frau bog ruhig und gelassen, so, wie ich sie gebeten hatte, in das Unterholz ab.
    Der Blick der Wolfshündin zählt zu den Momenten meiner Arbeit, die ich niemals vergessen werde. Sie wendete wie in Zeitlupe den Kopf und sah ihrem Frauchen mit einem Ausdruck unglaublicher Überraschung hinterher. »Nach so langer Zeit hast du es endlich verstanden?«, hätte ihr Blick sagen können. Das war so deutlich, dass nicht nur ich, sondern alle Umstehenden eine Gänsehaut bekamen. Dann folgte sie der jungen Frau in das Unterholz und ging ruhig hinter ihr her. Gemeinsam tauchten sie dann wieder auf dem Weg auf, als sie den fremden Hund umrundet hatten.
    Beim nächsten Versuch machte die junge Frau von selbst einen Bogen durch das Unterholz, als ein neuer Hund auftauchte, und wieder folgte ihr die Wolfshündin. Beim vierten Mal blieb die Hündin plötzlich fast auf dem Weg und hielt nur einen Abstand von ungefähr fünfzig Zentimetern ein. »Du kannst den Bogen verkleinern«, rief ich daraufhin der jungen Frau zu, die dem entgegenkommenden Hund wie zuvor durch das Unterholz auswich.
    Zum zweiten Mal bekam ich Gänsehaut.
    Die Wolfshündin hatte in den bisherigen Begegnungssituationen vermutlich nicht nachvollziehen können, warum ihr Frauchen sich so unhöflich benahm und in einer frontalen Drohgebärde auf einen fremden Hund zugehen wollte, obwohl genügend Platz zum Ausweichen da war. Ihr bisheriger großer Bogen sollte offenbar das unhöfliche Verhalten der Frau ausgleichen. Jetzt, da sich die junge Frau aus der Sicht des Hundes in diesem Punkt kompetent verhielt, reichte der Wolfshündin die Andeutung eines Bogens, um dem entgegenkommenden Hund die eigene friedliche Absicht zu vermitteln und seine Individualdistanz zu respektieren. Da die Wolfshündin noch ein sehr ursprüngliches Verhalten zeigte und in ihrer Natur nicht gestört schien, konnte ich davon ausgehen, dass es ihr nur um eine gute Kommunikation gegangen war und nicht um ein Meideverhalten.
    Es ist also wenig hilfreich, eine Trainingssituation, die eine Begegnung auf einem schmalen Bordstein simulieren soll, auf einem breiten Weg zu absolvieren, bei dem ein Ausweichen möglich wäre, oder gar auf einem großen Freigelände. Wenn kein Bordstein zum Training zur Verfügung steht, kann man auf einem großen Gelände zur Simulation eines Bordsteins zumindest mit einem Weidezaun eine Gasse abstecken.
    Bitte verlieren Sie dabei nie aus dem Auge, dass ein solches Training nur für uns Menschen gemacht ist. Es geht darum,
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