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Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Titel: Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht
Autoren: Tom Chatfield
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zugrunde: die Nullen und Einsen der elektrischen Ladung, von denen die Möglichkeiten des Wortes »digital« letztendlich ausgehen.
    In der gesamten Menschheitsgeschichte war die Macht der den Geist erweiternden Maschinen stets durch die physischen Gegebenheiten der Realität beschränkt. Vor der Erfindung des Buchdrucks war die Herstellung eines Buches eine Tätigkeit, die Hunderte Stunden handwerklicher Arbeit in Anspruch nahm. Selbst nach Einführung der Druckerpresse begrenzten die verfügbare Papiermenge und ihr Preis, was man mit dem geschriebenen Wort erreichen konnte. Aufgezeichnete Klänge blieben im ersten Jahrhundert ihrer Existenz darauf beschränkt, was sich physisch in eine Substanz wie Wachs oder Vinyl ritzen ließ. Kino und Fotografie basierten auf teuren, knappen physischen Materialien – empfindlichen, leicht entzündlichen, aufwendig hergestellten Filmrollen.
    All das gilt heute nicht mehr. Als ich dieses Buch Ende 2011 geschrieben habe, wurde pro Minute Echtzeit schätzungsweise eine Stunde Videomaterial ins Netz hochgeladen. Wir haben uns an den Gedanken des Informationsüberflusses gewöhnt. Während wir – leicht resigniert – zu der Erkenntnis kommen, dass es dort draußen mehr gibt, als wir jemals konsumieren können, wächst die weltweite Summe der gesamten digitalen Informationen weiterhin mit exponentieller Geschwindigkeit an.
    Im Jahre 2008 umfasste das World Wide Web schätzungsweise eine Billion Seiten. Drei Jahre später hat es wenig Sinn mehr, diese Zahl überhaupt noch zu schätzen, aber sie beläuft sich auf viele Billionen. In dem halben Jahrhundert seit der Erfindung des Buchdrucks sind etwa hundert Milliarden Bücher veröffentlicht worden, wenn man alle Sprachen und Auflagen zusammenrechnet. Dieser Umfang stellt weniger als ein Monatsvolumen dessen dar, was momentan ins Netz gestellt wird.
    Am bedeutendsten ist jedoch die Tatsache, dass digitale Geräte nicht nur in der Lage sind, Informationen anzuzeigen und wiederzugeben: Sie können diese auch animieren, den Bytes und Algorithmen Leben einzuhauchen. Wenn wir einen Computer programmieren, schaffen wir nicht einfach ein Objekt in der Weise, wie wir es tun, wenn wir ein Buch schreiben, ein Bild malen oder eine Karte zeichnen. Wir setzen ein System in Bewegung, das andere erkunden können, ein System, mit dem man interagieren kann. Wir erschaffen neue Welten.

    Ein ganzes All im Netz: Es gibt heute mehr Internetseiten als Sterne in unserer Galaxie.
( Milchstraße © Design Pics Inc. / Alamy)
    Das ist vermutlich das zentrale Wunder unseres Zeitalters – und dasjenige, welches am besten erklärt, warum sich menschliches Bestreben, unsere Aufmerksamkeit, Emotion, wirtschaftliche Aktivität und Innovation weiterhin auf die digitalen Technologien richten. So, wie die Städte während der letzten paar hundert Jahre für einen Großteil der Erdbevölkerung als Magneten gewirkt haben, zieht heute die digitale Welt mit ihren mannigfachen Möglichkeiten die Menschen an: mit Simulationen, die uns direkter ansprechen als viele lediglich reale Erlebnisse.

    3.
    Wenn wir auf bestmögliche Weise mit der Technologie leben wollen, müssen wir erkennen, dass nicht das von uns genutzte Gerät an sich von Bedeutung ist, sondern sein konkreter Gebrauch. Digitale Medien sind Medien des Geistes und des Erlebens. Wenn wir sie uns zunutze machen wollen, müssen wir als Erstes beherzigen, dass wir sie nur dann konstruktiv begreifen können, wenn wir nicht abstrakt von einer Technologie sprechen, sondern von den Erfahrungen, die sie ermöglicht.
    Bedenken Sie nur einmal die Routine meiner eigenen digitalen Erfahrung: An einem gewöhnlichen Tag schicke und empfange ich einige SMS, lese oder schreibe 20 bis 30 E-Mails, twittere ein paar Mal und sitze zwischen zwei und zwölf Stunden lang vor dem Computer, wo ich online lese, schreibe und interagiere.
    Während ich dies schreibe, stelle ich mir wahrscheinlich dieselbe Frage, die Sie sich beim Lesen stellen: Wohin gehen diese zwei bis zwölf Stunden? Ich kann das nur bruchstückhaft nachvollziehen, am einfachsten in Gestalt von Wortzahlen von Artikeln und Büchern. Die ehrliche Antwort ist jedoch nicht nur, dass ich es nicht weiß, sondern, dass es auch wenig sinnvoll wäre, diese Aktivität in Kategorien wie »soziale Netzwerke«, »Bloggen« oder »Online-Spiele« zu unterteilen. Das wäre etwa so, als wollte ich meine Lesegewohnheiten erfassen, indem ich sagte, ich verbringe zwei Stunden täglich mit
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