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Wie halte ich das nur alles aus?: Fragen Sie Frau Sibylle (German Edition)

Wie halte ich das nur alles aus?: Fragen Sie Frau Sibylle (German Edition)

Titel: Wie halte ich das nur alles aus?: Fragen Sie Frau Sibylle (German Edition)
Autoren: Sibylle Berg
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macht man das, nicht unangenehm auffallen, sagen Sie und denken an deutsche Touristen. Das zählt nicht, erwidere ich, das ist im Ausland, da kann man sich ein wenig gehenlassen. Vermutlich ist die Neigung zu übertriebener Angst durchaus genetisch vererbbar. Herr Sarrazin würde zustimmend murmeln, denn sicher erzeugt kollektive Angst ein gesellschaftliches Klima, das dem überbordend Mutigen nicht besonders freundlich begegnet. Das alles könnten wir auf 679 Seiten untersuchen, und Sie würden begeistert sein von meiner Fähigkeit, Zitate und fundierte Sätze Prechtgleich zusammenzutragen. Wir aber wollen hier aktive Lebenshilfe anbieten, und darum verkürze ich auf: Sie haben recht. Es gibt keinen Grund, nicht ängstlich zu sein.
    Wir alle wissen, wie unser Leben endet. Und wann. Bald und furchtbar. Das könnte uns dazu verleiten zu behaupten, dass, wenn das Ende klar umrissen ist, wir in der Zwischenzeit die mutige Sau rauslassen könnten. Doch das ist nur wenigen gegeben. Wir anderen wissen, dass unser Leben sehr kurz ist, und wir wollen die Zeit angenehm und ohne Zwischenfälle verbringen. Wir haben Angst, nicht geliebt zu werden. Natürlich, verständlich, denn wir werden nicht geliebt. Niemals. Wir werden gehasst, und zwar von fast allen anderen, die in uns die eigene unvollkommene Vergänglichkeit erkennen. Und wir können nichts daran ändern, wir können noch so durchschnittlich und angepasst sein, so langweilig und lieb es uns möglich ist, wir werden immer von irgendwem gehasst. Wir werden von unserem Partner verlassen, weil ihm ein neues Glück zusteht, unsere Kinder können Unfälle haben oder Investmentbanker werden.
    Alles, was auch immer Sie sich an angstmachenden Szenarien ausmalen, kann eintreten. Sie haben Angst vorm Fliegen? Zu Recht. Die letzten Minuten in einer trudelnden Maschine müssen sich wie Jahre anfühlen. Sie haben Angst zu verarmen – durchaus berechtigt, warum soll es gerade Sie nicht treffen? Der Verlust des Arbeitsplatzes, ausbleibende Aufträge, hektisches Suchen nach Jobs, Scheitern, Alkoholismus – warum sollen das nur die anderen erleben? Die Sicherheit der Wirtschaftswundernazis gibt es nicht mehr. Sie haben Angst vor Krebs? Kluges Kind. Sie fürchten sich vor Terroranschlägen? Nur zu, vielleicht haben die völlig normalen, netten Menschen, die in New York, Moskau, London, Madrid oder Tel Aviv einen Selbstmordidioten getroffen haben, sich nicht gefürchtet, und das haben sie jetzt davon. Sie haben jeden Grund zur Angst. Nehmen Sie sie an. Fürchten Sie sich! Die Angst akzeptieren heißt wissen, dass man ein schlauer Mensch ist.

Darf ich anders leben
    als die anderen?

    Eine wackere Frau mit Schüttelfrisur hält zwei Kinder an den Händen. Man sieht die beiden von hinten, da hängen Schilder um ihre Hälse: Danke, Mama, ich darf leben! steht darauf, und OK , denkt man sich, korrekt, ihr kleinen Racker, dass ihr euch einmal bei eurer Mutter bedankt, aber hätte dazu nicht ein kleines Gedicht genügt? Muss man denn alles öffentlich machen, jeden Furz, in Zeiten der sozialen Medien?
    Überdies: Eine seltsame Aussage für zwei Kinder, nicht älter als sechs, und ob sie da wohl selber drauf gekommen sind? Ob sie gebettelt haben, Mama, Mama, wir wollen am Marsch fürs Leben teilnehmen und uns diese Schilder fahnengleich um den Hals hängen? Erwachen die kleinen Biester jeden Morgen und denken: Hallo, du Morgen, du Leben, du Geschenk, das ich hiermit bejahe? Und ist es wirklich so schrecklich, nicht geboren zu werden, da sich doch keiner an die Zeit vor seiner Geburt erinnern kann, schwimmend in einem Eierhaufen, die kleinen Eierfäuste geballt, der Schrei nach Leben im nichtgeformten Mund? Und noch früher, ein Nichts irgendwo im endlosen Schwarz des Universums? Der Marsch fürs Leben, von der Deutschen Bahn gesponsert, unterstützt, mit Liebe bedacht, will wackelnden Fußes, so ist der Website des Unterfangens zu entnehmen, ein Zeichen setzen: »Mit dem Marsch für das Leben gedenken wir der Kinder, die Tag für Tag in Deutschland noch vor ihrer Geburt getötet werden. Niemand kann sagen: ›Wir haben von nichts gewusst.‹ Wir fordern Politik und Gesellschaft auf, das schreiende Unrecht der Abtreibung zu beenden, Tötung durch Selektion zu verhindern und das erneute Aufkommen der Euthanasie zu stoppen.«
    Schwerer Toback, vermutlich von Christen in die Dunkelheit von Sodom und Gomorra getragen. So eiern sie durch Deutschland und offenbaren mit ihren als Schutzschild
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