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Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Titel: Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
Autoren: Peter Ensikat , Dieter Hildebrandt
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geschleppt. Zu zweit. Ich hatte die Arme … Für so was war ich einfach zu jung, waren wir alle zu jung. Das ging als Schock tief in uns rein.
    E NSIKAT: Und blieb da drin?
    H ILDEBRANDT: Gelöst hat sich das erst viel, viel später. Aber in dem Moment da in Tangermünde, wo ich rübergeschwommen bin, dann da rumstand, notdürftig bekleidet in Klamotten, die mir irgendwer überlassen hatte … Ich weiß noch, dass es ein heißer Sommertag war Anfang Mai 45. Ein paar hundert Militärautos standen da rum, aus denen hingen bündelweise Geldscheine raus. Aber die brauchte keiner mehr. Überalllag Munition rum. Die Russen schossen noch mit ihren Granatwerfern in die Menge, die da über die Elbe wollte, als ich schon drüben war bei den Amerikanern. Bis dorthin haben sie natürlich nicht geschossen.
    E NSIKAT: Da war die Grenze praktisch schon gezogen.
    H ILDEBRANDT: Die Amis hatten einen Notsteg gebaut, wo dann viele noch rüber- und zu ihnen in Gefangenschaft kamen. Gegen 14 Uhr muss irgendwer bei den Russen befohlen haben: »Feuer einstellen!« Und plötzlich, nach dem ganzen Lärm, den die russischen Flugzeuge gemacht hatten, plötzlich war alles ruhig, und du hörtest, wie die Vögel sangen. Da sagst du dir, das Geräusch hast du schon mal gehört. Daran habe ich mich erst viel später wieder erinnert, als ich den Film »Im Westen nichts Neues« noch mal gesehen habe. Da war es ganz ähnlich. Das ganz unglaubliche Glücksgefühl in der Stille. Die reine Euphorie! Das war ganz anders, als Helmut Kohl das als Bundeskanzler dann beschrieben hat – als Zusammenbruch. Für mein Gefühl war das Aufbruch, Befreiung! Die Amerikaner haben sich erst mal gar nicht um uns gekümmert, sie haben uns einfach ins Gefangenenlager latschen lassen. Die standen nur rum, haben Kaugummi gekaut und zugeguckt, wie wir unsere Gewehre auf den Haufen geschmissen haben. Für die waren wir Kinder. Sie waren ja älter – so Mitte zwanzig. Uns haben sie eher freundlich angeguckt. Aber im Lagerwurde es dann schwierig. Ich war ja ohne alles rübergeschwommen, hatte nicht mal ’ne Packung Kekse oder so was. Wir kriegten acht Tage nichts zu essen.
    E NSIKAT: Habt ihr nicht versucht, Gras oder irgendwelche Wurzeln zu essen?
    H ILDEBRANDT: Nein. Mir ging es gar nicht so schlecht. Ich weiß nicht, wie das ging. Aber es ging. Hin und wieder hast du ja auch was von einem Kameraden abgekriegt, der in seinem Rucksack was mitgeschleppt hatte. Nach den acht Tagen begannen dann die Amerikaner mit einer Art Notverpflegung.
    E NSIKAT: Im Gegensatz zu den Russen, die selbst nichts zu essen hatten, waren sie ja nicht arm.
    H ILDEBRANDT: Nein, die Amerikaner nicht. Aber die Engländer, zu denen wir dann kamen, hatten auch kaum was. Die fragten sich bald, was sie mit den hunderttausend Hungernden machen sollten, wie sie uns ernähren könnten. Dann haben sie uns eben entlassen. »Seht zu, wie ihr zu Rande kommt.« Wir mussten nur nachweisen, dass wir in Niedersachsen, wo wir uns ja befanden, Verwandte hatten, bei denen wir unterkommen und versorgt werden konnten. Das verlangten die Engländer, um ihr Gewissen zu beruhigen. Und wir taten, was sie verlangten. Ich hab hingeschrieben: »Neustadt am Rübenberge, Hauptstraße 7«.
    E NSIKAT: Eine schöne Adresse.
    H ILDEBRANDT: Den Ort hatte ich mir ja nicht ausgedacht, sondern auf der Karte meines Hauptmanns gefunden. Der hatte als Offizier noch eine Kartentasche. Ich bin also entlassen worden und wurde die dreißig Kilometer in so einem Holzgasauto mitgenommen. Als wir da ausgestiegen sind in Neustadt am Rübenberge, schaue ich auf das Straßenschild, und da steht wirklich »Hauptstraße«.
    E NSIKAT: Hattest du zu der Zeit den Schock der furchtbaren Erlebnisse schon irgendwie verarbeiten können?
    H ILDEBRANDT: Verdrängt. Das hat Jahre gedauert, bis ich anfing zu überlegen, was ich da eigentlich erlebt hatte. Die Toten, Menschen ohne Kopf, ohne Arme oder Beine … Das kam erst wieder zurück, als ich schon in München war, 1950/51. Da begann ich mich auch für Politik zu interessieren, um die ich mich bis dahin gar nicht gekümmert hatte.
    E NSIKAT: Bevor wir dazu kommen, musst du noch etwas zu der NSDAP-Geschichte sagen, zu den Vorwürfen, die junge, aufrechte Journalisten, die ganz genau wussten, wie es damals zuging, gegen dich, Walter Jens und andere erhoben.
    H ILDEBRANDT: Da ging es um Grass, Jens und mich. Sie hatten Unterlagen des Bundesarchivs, aus denen hervorging, dass wir Nummern als Parteimitglieder
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