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Wie Fackeln im Sturm

Wie Fackeln im Sturm

Titel: Wie Fackeln im Sturm
Autoren: Lynsay Sands
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müssen gut gewaschen werden! Sie sind auf der Reise alle schmutzig geworden!“
    „Ja, Mylady!“ antwortete Joanne genauso laut, als Willa sie erwartungsvoll anschaute.
    „Warte, lass mich dir die Tür öffnen!“ rief Willa zur Tür gewandt und nickte Joanne aufmunternd zu. Dann senkte sie den Kopf ein wenig und hielt sich den Stapel mit den Gewändern vors Gesicht, als das Mädchen vortrat. In dem Moment, als sich die Tür öffnete, stürmte Willa förmlich aus dem Gemach und eilte den Gang hinunter. Sie hörte noch, wie die Tür wieder ins Schloss fiel. Natürlich wagte sie es nicht, sich nach den Wachen umzudrehen, um zu sehen, ob sie etwas bemerkt hatten, sondern bog gleich um die erste Ecke und atmete erleichtert auf. Sie zog sich in eine Nische zurück, legte den Stapel ab und ging weiter.
    Joanne hatte ihr den Weg zu Tristan D’Orlands Gemach genau erklärt. Doch mit einem Mal war ihr ganz unbehaglich zu Mute. Sie war sich überhaupt nicht mehr sicher, ob es richtig war, ihren leiblichen Vater aufzusuchen. Schließlich bestand die Möglichkeit, dass dieser Mann ihr den Tod wünschte. Dennoch, der von Albträumen und schweren Schuldgefühlen gequälte Mann, den Joanne ihr beschrieben hatte, konnte unmöglich jener kaltblütige Mörder sein, der bereits so oft versucht hatte, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Willa musste sich mit eigenen Augen überzeugen, was für ein Mensch ihr Vater war.
    Raues, schallendes Gelächter drang an ihre Ohren, und Willa schaute auf, als zwei Männer einen Raum verließen und den Gang vor ihr hinuntergingen. Sie verlangsamte ihre Schritte, um den Männern nicht zu nahe zu kommen, und bog dann in den nächsten Gang ein. Hier sollte sich Tristan D’Orlands Gemach befinden. Joanne hatte ihr gesagt, es sei die dritte Tür auf der linken Seite. Willa begann, die Türen zu zählen. Schließlich blieb sie vor der dritten Tür stehen, presste ein Ohr an das Holz und lauschte. Sie vernahm kein Geräusch. Die Stille weckte in ihr den Wunsch, wieder kehrtzumachen, doch sie riss sich zusammen und besiegte ihre Feigheit.
    Willa holte tief Luft und hob die Hand, um anzuklopfen, doch dann öffnete sie die Tür einfach so und schlüpfte in das Gemach. Zuerst glaubte sie, niemand sei da. Der Lehnstuhl vor dem Kamin war leer, ebenso das Bett. Dann nahm sie jedoch eine Bewegung am Fenster wahr und sah, dass die Gestalt, die dort reglos gestanden hatte, sich langsam umdrehte und sie anblickte.
    Er war ganz anders, als Willa ihn sich vorgestellt hatte. Ihr Vater mochte ungefähr in Lord Richards Alter sein. Aber Richard hatte in seinen letzten Lebensjahren das Kriegshandwerk jüngeren Männern überlassen. Seine äußere Erscheinung hatte seinem Alter entsprochen, denn die Arme hatten an Kraft eingebüßt, und der Leibesumfang war angewachsen. Bei diesem Mann war es indes anders. Obschon sein Haar schneeweiß war und nicht mehr die rotblonde Farbe aufwies, die er seiner Tochter vererbt hatte, wirkte Tristan D’Orland so kraftvoll und leistungsfähig wie ein zwanzig Jahre jüngerer Mann. Er war hoch gewachsen, hatte breite Schultern und kräftige Arme. Seine ganze Haltung und Erscheinung verriet den erprobten Kriegsmann. Seine Augen hatten dieselbe blaugraue Färbung wie Willas und wirkten in dem sonnengebräunten Gesicht wach und unnahbar. Alles in allem gab er einen stattlichen, Ehrfurcht gebietenden Ritter ab.
    „Ich habe nicht nach einer Kammerzofe geschickt. Warum …“ Er verstummte. Einen Moment lang herrschte Schweigen, während er sie von Kopf bis Fuß musterte. Als er schließlich die Sprache wieder fand, hatte seine Stimme viel von ihrem strengen Tonfall verloren. „Wie heißt du, Mädchen?“
    „Willa.“ Wieder trat ein unerträgliches Schweigen ein. Willa wartete auf eine Reaktion, bis ihr einfiel, dass er mit ihrem Namen vermutlich nichts anfangen konnte. Den hatte Lord Hillcrest ihr gegeben. Sie ließ die Tür offen und trat weiter in den Raum. „Der Mann, der mich großzog, gab mir diesen Namen, da ich mit dem letzten Willen vermacht worden bin. Meine Mutter bat ihn kurz vor ihrem Tod, er möge sich um mich kümmern und mich beschützen. Sie befürchtete, mein leiblicher Vater könne mich töten, wenn er erführe, dass ich lebte.“
    „Dein leiblicher Vater?“ wiederholte er mit matter Stimme.
    „Ja.“ Willa konnte es nicht ertragen, die Mischung aus Hoffnung und Furcht in seinem Mienenspiel wahrzunehmen, und daher wandte sie sich von ihm ab und trat an das Kaminfeuer.
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