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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag
Autoren: Jutta Wilke
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ohne Rollwende,
ohne Grenzen. Und je mehr ich trainiere, desto näher komme
ich diesem Ziel. Aber wie sollte ich das den beiden erklären?
    »Ich will einfach gut sein«, murmelte ich und hoffte, dass sie
damit zufrieden waren.
    »Du bist gut«, stellte Mel trocken fest. »Aber das reicht dir
nicht wirklich.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Es geht mir nicht um den
Ruhm, falls du das denkst. Nicht um Medaillen oder so.«
    Ich ließ meinen Blick über die Fotos an den Wänden gleiten.
Auf den meisten Bildern waren Siegerehrungen festgehalten
worden. Junge erfolgreiche Menschen auf Treppchen, die stolz
in die Kamera lächelten.
    Ich habe auf Schwimmwettkämpfen schon so viele Medaillen
und Urkunden gewonnen, dass ich sie gar nicht mehr zählen
kann. Anfangs habe ich mich noch darüber gefreut und war stolz
darauf. Aber es war nie jemand da, der sich mit mir freute. Während
die anderen Kinder von ihren Eltern gelobt und mit ihren
Medaillen fotografiert wurden, stand ich meistens allein am Beckenrand.
Meine Mutter kam nicht mit zu den Wettkämpfen, sie
wollte möglichst nichts damit zu tun haben. Von Anfang an war
meine Schwimmerei ihr ein Dorn im Auge. Es gefiel ihr nicht,
dass ich so viele Stunden im Verein verbrachte.
    Ein Trainer war auf mich aufmerksam geworden, als ich allein
für mich übte, und bat meine Mutter, mich in seinen Verein zu
schicken. Bis heute weiß ich nicht, warum sie mir das überhaupt
erlaubt hat. Vermutlich hätte sie es nicht getan, wenn es Geld
gekostet hätte, aber das tat es nicht. Als meine Mutter damals
zögerte, musste der Typ vom Sportverein das Gleiche gedacht
haben und bot ihr deshalb an, mich umsonst in den Verein aufzunehmen.
Er erzählte ihr etwas von Ausnahmetalent und Förderung
und lud Mama und mich sogar einmal zum Essen in die
vereinseigene Pizzeria ein. Ich glaube, damit hat er sie gekriegt.
Es kam nicht oft vor, dass sie von jemandem zum Essen eingeladen
wurde, und obwohl es nur die Pizzeria eines Schwimmvereins
war, stand sie an diesem Abend stundenlang vorm Spiegel.
Nach dem Essen willigte sie ein und von diesem Tag an wurde
das Schwimmen für mich so wichtig wie das Atmen. Ich trainierte,
soviel ich konnte. Nicht wegen der Medaillen. Nicht, um
besser zu sein als die anderen Kinder. Sondern um, sooft es ging,
von meiner Mutter weg zu sein. Ich schwamm vor dem, was ihre
Welt war, davon und wünschte mir doch, sie würde mir folgen
und Teil meiner Welt werden.
    Ich merkte, dass Tom und Melanie mich immer noch erwartungsvoll
ansahen.
    »Das Stipendium«, sagte ich schnell. »Ich muss aufpassen,
dass ich das Stipendium nicht wieder verliere. Die wollen Leistung
sehen. So hat man es mir zumindest gesagt. Ohne entsprechende
Leistungsnachweise muss ich das Internat wieder verlassen.
«
    Tom nickte verständnisvoll, aber Melanie rührte wütend in
ihrem Kakao. »Leistung, Leistung, immer dreht sich alles nur
darum.«
    »Ich schwimme gerne«, sagte ich leise. »Wirklich.«
    Ihr Ausbruch hatte mich traurig gemacht. Melanie verstand
mich nicht. Ich hatte geglaubt, wir wären uns ähnlich, aber das
war offensichtlich ein Irrtum. Im Moment schien es mir, als ob
wir zwei verschiedene Sprachen sprechen würden.
    »Also, ich schwimme auch gern«, schaltete Tom sich ein.
    »Manchmal habe ich keine Lust auf den ganzen Druck, aber ich
glaube, wenn mir der Sport keinen Spaß machen würde, hätte
ich hier nichts verloren.«
    Ich nickte. »Wem das keinen Spaß macht, der würde Drexlers
Ton auch kaum über sich ergehen lassen. Wozu auch? In jedem
Schwimmverein ist es einfacher als hier.«
    »Am Anfang habe ich meinen alten Schwimmverein auch
echt vermisst«, stimmte Tom mir zu. »Wir haben da ziemlich
hart trainiert, doch das war kein Vergleich zu dem, was Drexler
mit uns macht.«
    »Aber der Erfolg gibt ihm recht«, warf ich ein.
    Erst jetzt fiel mir auf, dass Melanie sich überhaupt nicht an
unserer Unterhaltung beteiligte.
    »Wie findest du denn Drexler? Und wie waren deine Trainer
früher?«, wandte ich mich an sie.
    Mel zuckte zusammen, als ob ich sie mit meiner Frage aus
einer anderen Welt zurückgeholt hätte.
    »Was? Wer? Ach, Drexler? Der ist ganz okay«, stammelte sie.
    Ich musste an das Gespräch mit Bernges denken. »Es ist dein
Vater, der dir Stress macht, oder?«
    Melanie sah mich nicht an. »Er mag die Theater-AG nicht,
das ist alles«, antwortete sie. »Und im Grunde stimmt es ja, was
er sagt. Die Proben fressen wirklich viel Zeit, in der ich besser
trainieren
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