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Wie ein einziger Tag

Wie ein einziger Tag

Titel: Wie ein einziger Tag
Autoren: Nicholas Sparks
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Vater neugierig aufschaute, wich sie seinem Blick aus, ließ sich auf einen Stuhl sinken und las den ganzen Artikel. Sie entsann sich unklar, daß ihre Mutter an den Tisch trat und ihr gegenüber Platz nahm. Als sie die Zeitung schließlich zur Seite legte, sah ihre Mutter sie mit demselben Ausdruck an wie ihr Vater kurz zuvor. »Alles in Ordnung?« fragte sie über ihre Kaffeetasse hinweg. »Du bist ja ganz blaß.« Sie konnte nicht antworten, und das war der Augenblick, in dem sie bemerkte, daß ihre Hände zitterten. Der Augenblick, mit dem alles begann.
    »Und hier wird es enden, so oder so«, flüsterte sie. Sie faltete den Zeitungsausschnitt zusammen, steckte ihn wieder in ihr Notizbuch. Dabei erinnerte sie sich, daß sie die Zeitung an jenem Tag, als sie das Haus verließ, mitgenommen hatte, um den Artikel ausschneiden zu können. Sie las ihn noch einmal, bevor sie abends zu Bett ging, und versuchte, sich den Zufall zu erklären, las ihn am nächsten Morgen ein weiteres Mal, als wollte sie sicher gehen, daß dies alles nicht nur ein Traum gewesen war. Und jetzt, nach drei Wochen langer einsamer Spaziergänge, nach drei Wochen der Ablenkung hatte dieser Artikel sie hierhergeführt.
    Ihr launisches Verhalten begründete sie mit Streß. Eine perfekte Entschuldigung. Jeder konnte sie verstehen, selbst Lon, der deshalb sofort zugestimmt hatte, als sie sagte, daß sie für ein paar Tage wegfahren wolle. Die Hochzeitsvorbereitungen waren in der Tat für alle Beteiligten aufreibend. Fast fünfhundert Gäste waren geladen, darunter der Gouverneur, ein Senator und der Botschafter von Peru. All das war ihr zuviel, doch ihre Verlobung hatte Furore gemacht und beherrschte die Klatschspalten, seit man sie vor einem halben Jahr bekanntgegeben hatte. Manchmal träumte sie davon, einfach mit Lon davonzulaufen und irgendwo zu heiraten, ohne den ganzen Wirbel. Doch sie wußte, er würde niemals zustimmen; als aufstrebender Politiker liebte er es, im Rampenlicht zu stehen.
    Mit einem tiefen Seufzer erhob sie sich. »Jetzt oder nie«, murmelte sie, nahm ihre Sachen an sich und ging zur Tür. Sie hielt kurz inne, bevor sie sie öffnete und auf den Flur trat. Der Portier lächelte, als sie vorüberging, und sie spürte, wie er ihr wohlwollend nachsah. In ihrem Auto warf sie einen letzten raschen Blick in den Spiegel, ließ den Motor an und bog in die Front Street ein.
    Obwohl sie seit einer Ewigkeit nicht hier gewesen war, fand sie sich problemlos in der kleinen Stadt zurecht. Nachdem sie den Trent River auf der altmodischen Zugbrücke überquert hatte, bog sie links in eine Schotterstraße ein, und nun begann die letzte Etappe ihrer Reise.
    Es war wunderschön hier im Tiefland, schön wie damals. Anders als die bergige Gegend, in der sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte, war die Landschaft hier eben, auch wenn der Boden ähnlich beschaffen war. Und während sie über die einsame Straße fuhr, nahm sie die Schönheit in sich auf, die die Menschen einst in diese Gegend gelockt haben mußte.
    In ihren Augen schien sich nichts verändert zu haben. Das Sonnenlicht drang durch das Laub der über dreißig Meter hohen Schwarzeichen und Hickorybäume und ließ sie in ihrer herbstlichen Pracht leuchten. Zu ihrer Linken schlängelte sich ein metallfarbenes Flüßchen ein Stück die Straße entlang, bog dann seitwärts ab, um eine Meile weiter in einen größeren Fluß zu münden. Die Schotterstraße selbst wand sich zwischen alten Farmhäuschen dahin, die größtenteils noch aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg stammten, und sie wußte, daß manche Farmer noch so lebten wie ihre Groß oder Urgroßväter. Diese unverändert gebliebene Gegend löste eine Flut von Erinnerungen in ihr aus, und sie spürte, wie sich bei jeder lang vergessen geglaubten Einzelheit ihr Inneres zusammenzog.
    Die Sonne stand dicht über den Bäumen, und hinter einer Biegung gewahrte sie eine alte, halbverfallene Kirche. Sie hatte sie in jenem Sommer durchstreift und nach Spuren des Krieges zwischen den Staaten gesucht, wie der Bürgerkrieg im Volksmund hieß. Als sie nun daran vorbeifuhr, wurden die Erinnerungen an jenen Tag so lebendig, als wäre es gestern gewesen.
    Am Flußufer tauchte jetzt eine majestätische Eiche auf, und bei ihrem Anblick rang sie nach Atem, so deutlich wurden die Erinnerungen. Der Baum mit seinen dicken Ästen, die sich fast waagerecht über den Boden reckten, mit seinem gewaltigen Stamm, der von Moos bedeckt war wie von einem grünen
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