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Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)

Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)

Titel: Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)
Autoren: Sylvie Wolff
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sich Angehörige und Fans hinter der Absperrung und feuerten die Läufer an. Unwillkürlich begann ich nach bekannten Gesichtern zu suchen und fand – Ingo. Direkt am Absperrband.
    „Darfst du überhaupt hier sein?“, flüsterte ich und sah mich nach meinen Mitstreitern um. Die hielten stur und konzentriert ihr Tempo, winkten hier und dort in die Menge oder griffen nach einem Becher Wasser, ließen sich aber sonst nicht stören.
    Ich wollte es genauso machen, doch Ingo brüllte: „Pause!“
    „Aber ich muss …“
    „Du musst gar nichts, außer anhalten. In zwei Minuten beginnst du wieder mit einem leichten Dauerlauf, ohne viel Tempo. Hörst du mich?“
    Ich nickte und spuckte Schleim auf die Straße. „Wie lange noch?“
    „Ein Weilchen. Nun atme und nimm dir Zeit.“
     
    Ich hielt mich an fast alle Ratschläge und schaffte es so tatsächlich bis zum zweiten Verpflegungsstand. Meine Füße waren mittlerweile dick geschwollen und so schwer, als hätte jemand Bleiplatten unter die Sohlen genagelt.
    Hättest sie ja rechtzeitig einlaufen können!
    Du bist so lieb zu mir, Beelzebub!
    Im Gegensatz zu den anderen Läufern, die ihre Becher im Vorbeilaufen griffen, leertranken und einfach zu Boden warfen, um sich den Schokoriegeln widmen zu können, musste ich erneut eine Pause einlegen. Meine Hände zitterten so sehr, dass ich mehr Wasser verschüttete als trank, von Müsliriegel essen ganz zu schweigen, und so lehnte ich mich gegen den Stand.
    Als ich wieder atmen konnte, stand Ingo vor mir, eine bereits geschälte Banane in der Hand.
    „Gut gemacht. Und nun iss.“
    Ich stopfte die Banane in den Mund und bewunderte sein Laufdress. Was hatte der Anni-Engel doch gleich gesagt? Knackarsch? Die hatte echt gute Augen.
    „Was machst du denn hier? Ich dachte, außer den Läufern darf niemand auf die Strecke!“
    „Ich laufe den Rest der Strecke neben dir, Widerspruch ist zwecklos. Schließlich bin ich dein Trainer und weiß, was gut für dich ist, schon vergessen?“ Stolz warf er sich in die Brust und ähnelte Robert dabei so sehr, dass ich zu glucksen begann.
    „Ich widersprech ja gar nicht.“
    Ingo hielt Wort und blieb das letzte Drittel der Strecke neben mir. Im Pulk der Läufer fiel einer mehr oder weniger nicht auf und so hörte ich auf, mich über erlaubt und unerlaubt zu sorgen.
    Da Ingo sein Head-Set nicht tragen konnte, musste ich auf seine motivierenden Worte verzichten, drehte aber dafür die Musik so weit wie möglich auf. Svenjas Rhythmen dröhnten in meinem Kopf und schoben die Füße vorwärts, Schritt für Schritt, einen nach dem anderen. Meter um Meter, wie in Trance. Bis aus heiterem Himmel die Ziellinie mit dem vermaledeiten Balken vor mir auftauchte.
    „Ingo, da …“
    Aber Ingo war schon wieder weg, untergetaucht irgendwo in der Zuschauermenge.
    Also gut, dann eben allein. Ich lief, als ginge es um mein Leben. Die Füße waren aus dem Takt, schienen auf einmal falsch eingehakt zu sein und gerieten immer wieder durcheinander. Einmal stürzte ich sogar, aber irgendwie reichte es doch noch für ein letztes Aufrappeln, einen letzten Schritt, einen letzten Sprung. Ich nahm nichts mehr wahr außer der Ziellinie und dem Rauschen in meinen Ohren: Lauf, Yvi, lauf …
    Ich lief, ohne etwas zu sehen, bis starke Arme mich fingen und aufhielten.
    „Du kannst langsam machen, Yvi. Du hast es geschafft!“
     

19
     
     
    Ingo musste schreien, um das Brausen in meinem Kopf zu übertönen. Er ließ mich nicht los, zwang mich aber mit sanfter Gewalt, das Tempo zu drosseln und langsam runter zu kommen.
    „Ist gut, das reicht“, sagte er irgendwann und ließ mich langsam zu Boden gleiten.
    „Hab ich es geschafft?“, keuchte ich.
    „Mit Bravour, Yvi. Von heute an wirst du dich nie wieder vor etwas fürchten oder verstecken müssen.“
    „In welcher Zeit?“
    „Knapp über zwei Stunden, du kannst stolz auf dich sein!“
    Mehr Zeit gab es nicht, denn Andrea kämpfte sich bereits durch die Absperrung und stürmte auf uns zu, den ganzen Tross im Rücken.
    „Ich kann nicht, Ingo“, stammelte ich.
    „Ich weiß.“ Er hakte mich kurzerhand unter und schleppte mich ungeachtet Andreas Proteste über die Sperrmarke ins Sanitätszelt. Dort sprach er mit einem der Helfer und hastete dann nach draußen, um einen Einbruch in dieses Refugium zu verhindern.
    Der Sanitäter fragte etwas, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Hoffentlich war Ingo beeindruckend genug, um mir die Meute noch eine Weile vom Hals zu
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