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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle
Autoren: John B. Keane
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kleine ebenmäßige Kohlen zu einem Kreis zusammen. Darauf sollte der frisch gebrühte Tee in der brandneuen Teekanne eine Weile ziehen. Während wir darauf warteten, stellten Dolly und Bridgeen gemeinsam fest, dass ich nach meinem Vater käme, aber Mutters Augen hätte. Derweil entstand ein Aufruhr im Hühnerverschlag. Dinny, der wohl Schuld daran war, schlich vom Ort des Verbrechens zur Tür und betrachtete sie höchst interessiert.
    »Setz dich, Sir, aber gleich!«, herrschte ihn Neddy an und wies auf einen Stuhl am Ende der Tafel. Dinny begriff, dass das Maß nun voll war, und tat, wie ihm geheißen. Einer nach dem anderen nahmen wir am Tisch Platz. Die Frauen des Hauses setzten sich erst, nachdem allen Tee eingeschenkt war. Neddy übernahm das Aufschneiden des Backwerks. Im Eierkuchen zeigte sich eine verräterische weißliche Schicht, und beim Rosinenkuchen waren die Früchte allesamt nach unten gesackt. Anstandshalber mussten wir wenigstens ein Stück nehmen. Erst dann würde man alle weitere Nötigung, noch mehr zu essen, zurückweisen können. Zögerlich entschieden wir uns für Rosinenkuchen und hatten unsere Mühe damit. Nicht ein Krümel fiel auf den Tisch oder den Fußboden, ein solcher Klitsch war das. Wir schafften es jedenfalls, unseren Teil hinunterzuschlucken, und brachten uns somit in die Lage, jedes weitere Anerbieten abzulehnen. Die Hausgenossen hingegen langten kräftig zu, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass unser Bedarf gedeckt war, und ließen nichts übrig.
    »Jetzt könnten wir darüber reden, was Sie zu uns geführt hat«, verkündete Neddy Leary und wischte sich den Mund mit dem Handrücken.
    »Eigentlich gar nichts Besonderes«, antwortete meine Mutter, »wir hätten nur gern gewusst, ob Sie uns die Adresse Ihres Bruders Tom in New York geben könnten.«
    »Von Herzen gern. Vielleicht verraten Sie uns auch, wer von den Ihrigen sich nach Amerika aufmachen will.«
    »Der Junge hier«, sagte meine Mutter.
    »Ist er dafür nicht zu jung?«
    »Mit sechzehn ist er alt genug«, antwortete sie.
    »Das beste Alter dafür«, stimmte ihr Neddy Leary mit einem leichten Seufzer zu. »Wenn sie älter sind, fällt es ihnen schwerer, sich da drüben einzuleben. Tom war auch gerade so alt, als er rüberfuhr. Hat sich nicht zurückgesehnt. Und hat da gut Fuß gefasst.«
    Neddys jüngerer Bruder Tom diente als eine Art Anlaufpunkt und Mittelsmann zwischen möglichen amerikanischen Arbeitgebern und den Scharen junger irischer Burschen und Mädchen aus unserer Gegend, die Jahr für Jahr auswanderten. Er betrachtete das als reinen Liebesdienst, und es wäre für jeden, der auswandern wollte, undenkbar gewesen, nicht zuvor mit ihm Kontakt aufzunehmen. Mit seinem Haus bot er ihnen während der ersten traurigen Wochen fern der Heimat eine Bleibe. Er gab den Jugendlichen die Chance, sich in der fremden, so verwirrenden Umgebung zurechtzufiden, bis sie sich selber ein ungefähres Bild machen konnten, was die neuen Verhältnisse ihnen boten.
    »Ich hole gleich die Adresse«, sagte Neddy, stand auf und ging in den Raum links von der Küche. Während seiner Abwesenheit fiel kein Wort. Meine Mutter räusperte sich, wollte etwas sagen, ließ es dann aber doch. Dinny Colman erhob sich etwas betreten von seinem Stuhl und glitt hinüber zum Kamin. Nach einem flüchtigen Blick in den Rauchfang stellte er sich mit den Händen auf dem Rücken vors Feuer. Er hatte ein wissendes Lächeln auf dem Gesicht, schürzte die Lippen und pfiff lautlos vor sich hin. Neddy kam zurück, bewaffnet mit einem Notizblock, einem Fläschchen schwarzer Tinte und einem kleinen, reichlich abgegriffenen Notizbuch. Hinters Ohr hatte er sich einen hölzernen Federhalter mit einer rostigen Schreibfeder geklemmt. In fieberhafter Eile räumten seine Frau und die Schwester den Tisch frei, während er mit Herrschermiene hinter seinem Stuhl wartete. Suchend glitt sein Blick über den Tisch, nichts durfte dort liegen, das möglicherweise seiner bevorstehenden Arbeit im Wege war. Er ließ sich nieder, und die beiden Frauen standen dienstfertig hinter ihm, kaum einen Fußbreit voneinander entfernt. Selbst auf Dinny Colman machte das Ritual Eindruck. Er fühlte sich, als befände er sich in der Gegenwart eines königlichen Schreibers. Eine innere Stimme riet ihm, leichtfertige Späße zu unterlassen. Umständlich legte Neddy Leary das Schreibzeug auf den Tisch. Er setzte sich auf seinem Stuhl zurecht und entkorkte das Tintenfläschchen, nicht ohne es
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