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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät
Autoren: Nele Neuhaus
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Grüße von Bekannten und Freunden aus. Als es an der Tür klopfte, wandte er sich nicht um.
    Â»Ich kann dich jetzt leider eine Weile nicht besuchen kommen«, flüsterte er. »Ich muss verreisen. Aber ich denke immer an dich, mein Herz.«
    Ranka, die tüchtige Pflegedienstleiterin, hatte das Zimmer betreten, das konnte er riechen. Sie duftete immer ganz leicht nach Lavendel und nach Rosen.
    Â»Ach, der Herr Professor. Sie waren ja lange nicht mehr da.« In ihrer Stimme meinte er eine Spur von Missbilligung zu hören, aber er würde sich nicht rechtfertigen.
    Â»Hallo, Ranka«, erwiderte er nur. »Wie geht es meiner Frau?« Üblicherweise erzählte sie dann wortreich von Bettinas Alltag, von einem Ausflug auf den Balkon oder einem winzigen Erfolg bei der Physiotherapie. Heute sagte sie jedoch nichts dergleichen.
    Â»Gut«, antwortete Ranka nur. »Wie immer. Gut.«
    Schlechte Antwort. Dirk Eisenhut wollte nicht hören, dass sich nichts änderte. Stillstand war Rückschritt. Zuerst hatte die Frührehabilitation gut angeschlagen, und Bettinas Zustand hatte sich dank basaler Stimulationsbehandlung, Physiotherapie und Logopädie langsam, aber stetig verbessert. Sie hatte gelernt, wieder selbständig zu schlucken, so dass man die Trachialkanüle und später die Magensonde entfernen konnte. Die Chance auf eine Erholung aus dem apallischen Syndrom lag bei 50 %. Als Wissenschaftler wusste er, dass es keine Garantien gab und wie gering eine fünfzigprozentige Chance war. Kam es innerhalb eines Jahres nicht zu einer merklichen Verbesserung der physischen und psychischen Leistungen und blieb der Patient bewusstlos, so würde man in der Behandlung zur Phase F übergehen. Der nüchterne medizinische Ausdruck für diese Rehabilitationsphase hieß »dauerhafte aktivierende Behandlungspflege«. Und das bedeutete das Ende aller Hoffnung auf Heilung.
    Er verabschiedete sich mit einem Kuss von seiner Frau, sagte Ranka, dass er beruflich für ein paar Tage verreisen müsse, und verließ das Zimmer.
    Seit jener schrecklichen Silvesternacht hatte er die Villa in Potsdam, beziehungsweise das, was die Flammen von ihr übriggelassen hatten, nur noch zwei Mal betreten: mit den Brandsachverständigen der Polizei und um seine Unterlagen aus dem weitgehend unversehrten Arbeitszimmer zu holen. Danach nie wieder. Er wohnte jetzt in der Wohnung in Mitte, die Bettina so sehr geliebt hatte, unweit des Pflegeheims in der Rosenthaler Straße. Es störte ihn nicht, dass er nun jeden Morgen quer durch die Stadt zur Arbeit fahren musste, es war seine Buße. Er nickte dem Pförtner zu und trat hinaus auf die Straße. Lärm und Hektik stürzten auf ihn ein, er blieb stehen und atmete tief ein und aus. Eine Horde Touristen auf dem Weg zu den Hackeschen Höfen strömte schwatzend und lachend um ihn herum, ein Taxifahrer hielt vor ihm am Straßenrand und blickte ihn fragend an, aber er signalisierte ihm mit einem Kopfschütteln, dass er seine Dienste nicht benötigte. Nach einem Besuch bei Bettina brauchte er immer einen Spaziergang, außerdem war es nur ein Katzensprung bis nach Hause. Er setzte sich in Bewegung, überquerte die Straße und bog bereits nach ein paar hundert Metern in die Neue Schönhauser Straße ein, in der seine Wohnung lag.
    Vielleicht würde er das alles besser ertragen, wenn er die Tragödie nicht hätte selbst verhindern können. Als er nach der Feier im Institut am späten Nachmittag nach Hause gekommen war, hatte das Haus in Flammen gestanden. Wegen der eisigen Kälte und Problemen mit dem Löschwasser hatte es endlos lang gedauert, bis die Feuerwehr in die Flammenhölle hatte vordringen können. Bettina hatte wie durch ein Wunder überlebt. Dem Notarzt war es gelungen, sie zu reanimieren, doch ihr Gehirn war durch die starke Rauchentwicklung sehr lange nicht mit Sauerstoff versorgt worden. Zu lange.
    Den Schock hatte er bis heute nicht überwunden, und ihm war klar, dass es seine Schuld war. Er hatte einen gewaltigen Fehler gemacht, einen Fehler, den er nie mehr gutmachen konnte.
    *
    Heute war der Tag, der die Entscheidung bringen konnte. Wochen, ja Monate hatte er Informationen zusammengetragen, ausgewertet und in allgemein verständliches Deutsch übersetzt, um Mitstreiter zu gewinnen. Seine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt, die Bürgerinitiative »Keine Windräder im
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