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Wer stirbt schon gern in Düsseldorf?

Wer stirbt schon gern in Düsseldorf?

Titel: Wer stirbt schon gern in Düsseldorf?
Autoren: H Venn
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Überraschungssieger auf dreiundzwanzig Interviews.
    Ministerpräsident Nils Steenken war bereits mit der ersten Lufthansa-Maschine um 6.50 Uhr aus Düsseldorf nach Berlin-Tegel geflogen, um intern beim Thing seines SPD-Parteivorstandes das Wahlergebnis zu beweinen. Wolfgang »Saddam« Thierse drückte ihn nach der Sitzung in seinen Fusselbart:
    »Nils, das Ergebnis hat nichts mit dir zu tun. Das war der Zeitgeist.«
    Nach draußen, gerne auch »vor der Presse« genannt, jubelte Nils Steenken anschließend verhalten, während Regierungssprecher Béla Anda wie immer schwieg. Dann holte nicht etwa Max, sondern Nils den Schieber raus, den Rechenschieber:
    »Während SPD und Grüne auf 95 Sitze kommen, können CDU und FDP 88 Abgeordnete hinter sich bringen. Da alle Parteien bereits vor der Wahl klare Aussagen zur Partnerschaft getroffen haben, ist im Augenblick keine neue Regierungskoalition zu sehen. Zumal sich diese Koalition auch auf Bundesebe…«
    An dieser Stelle unterbrach ihn unser aller Bundeskanzler:
    »Ich sag mal so. Im Augenblick.«
    Leicht irritiert fuhr Nils Steenken fort:
    »Ja, ja, natürlich. Die Frage ist also: Wie verhalten sich die ›Rheinländer‹?«
    »Sind das nicht alles Faschos?«, warf ein Journalist der »Lausitzer Rundschau« ein – ein Bild, das er an diesem Tag nicht allein malte und am Abend schon wieder revidieren musste.
    An diesem Wahlmontag hielten nämlich zunächst noch alle »die Rheinländer« für einen erzkonservativen Ableger eines Heimattümel-Vereins mit roten Wandersocken und gefleckten, grauen Luis-Trenker-Hütchen. In der Berliner SPD-Parteizentrale an der Wilhelmstraße glaubte man fest, dass sich Ludwig Förster mit seinen 48 Sitzen auf die Seite des konservativen Lagers schlagen würde.
    Davon ging man – ohne ein Gespräch geführt zu haben – auch in der Berliner Zentrale der CDU im Klingelhöfer Dreieck aus.
    Deren Spitzenkandidat Bernd Balkenhol, der eher durch den Wahlkampf gefettnäpfchent war, seinen Wahlkreis »Brilon I« im Sauerland aber mit satten 62,3 Prozent gewonnen hatte, sah sich schon als kommender Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Dies verkündete er intern auch vollmundig seinem eigenen Parteivolk:
    »Diese Rheinländer sind doch nur ein schlechter Eifelverein, woll, die werden doch niemals mit den Sozis ins Boot springen, woll. Nein, nein, mit deren 48 Sitzen kommen wir auf eine satte Mehrheit von 136 Stimmen, woll.«
    Angela Merkel nickte zustimmend. Dabei spannte sich ihr roter Blazer, den sie wieder einmal zwei Nummern zu klein gekauft hatte.
    Gegen Mittag riefen alle Parteien in Berlin zum Presse-Verlautbaren – lediglich die F.R. hatte mit der Preußensgloria-Stadt nichts am Hut und veranstaltete ihr Meeting im Bonner »Pantheon-Theater« – einem Kabarett wohlgemerkt.
    Und während die SPD lamentierte, die Grünen sich vom Wähler beleidigt fühlten, die CDU Siegerlaune zeigte und die FDP sich weiterhin selbst feierte, konnte Ludwig Förster den Journalisten in Bonn nur »Mit uns hat noch keiner über eine Koalition gesprochen« in die Blöcke und Mikrofone diktieren.
    Danach erklärten die neuen Rheinländer erstmalig ihr politisches Konzept – mehr als ein grober Abriss lag allerdings auch intern nicht vor.
    »Ohne eine einzige politische Aussage sind wir wie die Jungfrauen zu Mandaten gekommen«, übte Ludwig Förster internen Selbstspott.
    Als das Winz-Programm, das Platz auf einer halben DIN-A4-Seite hatte, am Abend durch die Medien ging, wurde CDU-Spitzenmann Bernd Balkenhol, inzwischen wieder in Düsseldorf gelandet, merklich leiser:
    Da war nichts von Blut und Boden zu hören, da schwang keiner den Wanderstock zu Heimatliedern oder stimmte Haselnuss-Hymnen als Parteisong an. Den ersten Eindruck, den man von »den Rheinländern«, wie die Partei am ersten Tag nach dem Wahlerfolg noch genannt wurde, haben konnte, war der einer recht aufgeschlossenen Sponti-Gruppierung. Fern jeder Ach-hätten-wir-doch-nur-noch-unser-Bonn-Nostalgie.
    Ludwig Förster erklärte, dass »auseinander wachsen muss, was nie zusammen gehört hat«. Er orakelte von einem Rheinland als eigenes Bundesland – ähnlich dem Saarland:
    »Die Selbständigkeit des Rheinlands ist eine Frage der Ehre. Uns treibt keine nationale Romantik oder Abneigung gegen Westfalen und den Berlin-Zentralismus. Wir Rheinländer haben fast eine eigene Sprache, eine eigene Kultur und eine eigenen Geschichte. Der Luxemburger steht uns doch näher als der Münsterländer. Wir
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