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Wer stirbt schon gern in Düsseldorf?

Wer stirbt schon gern in Düsseldorf?

Titel: Wer stirbt schon gern in Düsseldorf?
Autoren: H Venn
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wurde geöffnet, die zu Schriftführern bestimmten bartlosen Vertreter zweier politischer Jugend-Organisationen starrten gebannt auf ihre Zählblätter und auf eine mit Taschenmesser in die Schulbank geritzte Bemerkung, mit der wohl ein frühreifer Viertklässler seine Kritik am Schulsystem zum Ausdruck bringen wollte:
    »RIP – Hier starp ein Schenie aus Langeweile! Es lebe PISSA!«
    Die Auszählung begann mit den in der Ex-Gemeinde gewohnten Stimmanteilen: »Vier CDU, zwei SPD, eine FDP und eine grüne Stimme!«
    »Die würde ich am liebsten fallen lassen«, dachte Ernst-Wilhelm Noppeney, von dem man erzählte, dass er sich früher seine Mehrheiten immer gestrickt hatte.
    Doch dann stockte der Zähler, schaute ungläubig seine Mitzähler mit den anderen Parteibüchern an:
    »Neun Stimmen F.R.!«
    Kein Zweifel – selbst die geübten Wahlzettel-Blicke von Ernst-Wilhelm Noppeney und Günther Lehnen konnten einen Irrtum ausschließen:
    »Eindeutig F.R.!«, verkündeten beide in ungewohnter Eintracht, wobei nur am Rande vermerkt werden musste, dass beide Herren trotz ihres Alters diese weit reichende Feststellung noch ohne Lesebrille treffen konnten – quasi aus einer fielmannfreien Zone auf die Wahlzettel starrten.
    Werner Tholen dagegen, erst 67, stammelte betroffen:
    »Das ist doch nicht zu fassen! Wir Liberalen sollten doch die Überraschung dieser Landtagswahlen werden! Dafür haben wir doch so manche Mark und unseren Spitzenkandidaten springen lassen!«
    * * *
    Der Ausruf des Erstaunens entfuhr an diesem Abend noch so manchem in Nordrhein-Westfalen – in erster Linie allerdings im Rheinland.
    Hatte doch die unter »ferner liefen« eingestufte Winz-Gruppierung »Freies Rheinland« (F.R.) auf Anhieb sensationelle 19,6 Prozent der Stimmen im größten Bundesland der Republik verbuchen können, einige Direktmandate gewonnen und dies mit einem Wahlkampf, der sich auf recht hilflos formulierte Werbeschriften mit Kurz-Statements, Infostände unter Sonnenschirmen lokaler Bierverleger in Fußgängerzonen sowie Kinder-Belustigungen durch angeheiratete Separatisten-Frauen auf Spielplätzen beschränkt hatte.
    Selbst im Münster- und Sauerland, wo die Partei überhaupt nicht angetreten war, rief das Ergebnis baffes Erstauen hervor, und so mancher Schweinezüchter in den unendlichen Weiten des Münsterlandes und Ostwestfalens schaute neidvoll gen Rhein, trank einen zweiten Steinhäger, klopfte sich auf die Schenkel und meinte zu Familie sowie Gesinde:
    »Jau, jau, jau – das hätten wir auch haben können. Freies Westfalen, das hätt’ doch was. Jau, jau, jau!«
    Im dritten Fernsehprogramm spielten Ergebnisse aus »Dülmen 1« und »Gütersloh 3« an diesem Abend nur eine untergeordnete Rolle – mit Spannung wurden dagegen die Schlussergebnisse aus Moers, Duisburg, Düsseldorf, Heinsberg, dem Oberbergischen Land, Düren, Köln, Aachen und der Eifel erwartet – um nur einige rheinische Hochburgen zu nennen.
    Und die ließen keinen Zweifel: Im neuen Landtag von Nordrhein-Westfalen würde das Rheinland von zahlreichen Abgeordneten der Rheinland-Separatisten vertreten werden, selbst Ministerpräsident Nils Steenken hatte seinen sicheren Wahlkreis »Bonn 1«, in dem die SPD das Nordlicht eingenistet hatte, mit Pauken und Trompeten verloren. Da Steenken im unsicheren Gefühl eines Sieges auf Absicherung durch die SPD-Landesliste bestanden hatte, gehörte er nur noch mit einem Reservelisten-Makel dem neuen Landtag in Düsseldorf an.
    Der Ministerpräsident hatte seine persönliche Niederlage bereits im Foyer des Düsseldorfer Landtags um 18.57 Uhr – also rechtzeitig zu den ZDF-»heute«-Nachrichten mit Petra Gerster – eingestanden. Allerdings nahm er dabei schon wieder seinen nordischen Klaus-Störtebeker-Blick an:
    »Nun gut, die Bürger meines Wahlkreises haben mir diesmal nicht ihr Vertrauen geschenkt. Das liegt sicher an dem Überraschungserfolg einer lokalen Splitter-Gruppierung von Chaoten. Die Hauptsache ist aber, dass wir Sozialdemokraten landesweit wieder die Nummer Eins sind. Ich gehe davon aus, dass ich weiterhin Ministerpräsident dieses Landes bleiben werde.«
    Dann dankte er noch den SPD-Wählern und allen Plakatklebern »draußen im Lande«. Aber das wurde vom ZDF schon nicht mehr gesendet.
    Zu diesem Zeitpunkt lagen die öffentlich-rechtlichen Hochrechnungen von ARD und ZDF bis auf wenige Stellen hinter dem Komma dicht beieinander.
    Menschen, deren Wichtigkeit sich hinter Kameras abspielt, wuselten durch
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