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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones?
Autoren: Craig Silvey
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bisschen Dreck über seinen Zigarettenstummel und wendet sich ab, als hätte er mich nicht gehört. Wir gehen weiter.
    «Komm», sagt er.

    Wir treffen wieder auf den Fluss. Eine Zeitlang laufen wir an seinem ausgefransten Ufer entlang nach Osten. Keiner von uns sagt etwas. Die Papierborken- und Eukalyptusbäume, die uns umgeben, sehen im silbrigen Licht unheimlich aus, und ich merke, dass ich mich Jaspers Schritten anpasse.
    Die Gegend erscheint mir immer fremder. Die Ufer werden zunehmend wilder und unwegsamer, je schmaler der Fluss wird, und die Böschungen sind von niedrigem Gestrüpp überwuchert. Bald müssen wir auf die schmalen Kängurupfade ausweichen, die nicht mehr ganz so dicht am Wasser verlaufen.
    Jaspers Schritte sind lang und kraftvoll. Ich gehe hinter ihm und sehe im Dämmerlicht, wie sich seine Waden anspannen. Seine Gewissheit und seine Präsenz machen es mir leicht, ihm zu folgen. Natürlich habe ich immer noch Angst, aber es hat auch etwas Beruhigendes, sich in seinem Dunstkreis aufzuhalten. Ich vertraue ihm unbesehen, auch wenn ich keinen Grund dazu habe und damit ziemlich allein dastehe.
    Jasper Jones genießt in Corrigan einen grauenhaften Ruf. Er ist ein Dieb, ein Lügner, ein Schläger und ein Schulschwänzer. Er ist faul und unzuverlässig. Ein Wilder und eine Waise oder jedenfalls so gut wie. Seine Mutter ist tot und sein Vater ein Taugenichts. Er ist derjenige, den einem die eigenen Eltern als warnendes Beispiel vor Augen halten:
So wirst du enden, wenn du nicht gehorchst.
Jasper Jones ist der lebende Beweis dafür, wohin einen schlechte Anlagen und eine miese Lebenseinstellung führen.
    In allen Familien von Corrigan ist sein Name der erste, der fällt, wenn es irgendwie Ärger gibt. Egal, um welchen Fehltritt es sich handelt und wie offensichtlich die Schuld des eigenen Kindes auch sein mag, immer lautet die erste Frage der Eltern:
Warst du mit Jasper Jones zusammen?
Und natürlich folgt darauf meistens eine Lüge. Die Kinder nicken, weil die Beteiligung von Jasper Jones sie auf der Stelle von jeder Schuld losspricht. Es bedeutet, dass sie auf Abwege gebracht wurden, dass ihnen der Teufel persönlich aufgelauert hat. Also wird der Fall zu den Akten gelegt, doch die Botschaft ist klar:
Halte dich von Jasper Jones fern.
    Ich hatte gehört, dass man ihn als Mischling bezeichnete, und es nie ganz verstanden, bis ich es eines Abends am Abendbrottisch erwähnte. Mein Vater ist ein ruhiger und vernünftiger Mann, aber bei diesen Worten warf er sein Besteck hin und funkelte mich durch seine dicke schwarz gerandete Brille wütend an. Er wollte wissen, ob ich begriff, was ich da gerade gesagt hatte, was nicht der Fall war. Daraufhin beruhigte er sich und erklärte es mir.
    Noch am gleichen Abend kam er mit einem Stapel Bücher in mein Zimmer und bot mir genau das an, was ich mir mein Leben lang gewünscht hatte: die Erlaubnis, aus seiner Bibliothek zu lesen, was ich wollte. Die Bücherreihen und -stapel meines Vaters faszinierten mich, seit er mir das Lesen beigebracht hatte, doch immer hatte er selbst entschieden, welche Titel er für mich als passend erachtete. Daher war dies ein wichtiger Moment, und mir war klar, dass auch er ihn für bedeutend hielt. Allerdings fragte ich mich, ob es dazu gekommen war, weil er fand, dass ich allmählich erwachsen wurde, oder weil er fürchtete, Corrigan könnte mich in eine Richtung lenken, die ihm Sorgen bereitete.
    So oder so war ein Verbot aufgehoben worden. Für den Anfang übergab er mir einen Stapel ledergebundener Ausgaben von amerikanischen Südstaatenautoren: Welty, Faulkner, Harper Lee, Flannery O’Connor. Der größte Teil des Stapels jedoch stammte von Mark Twain. Es musste ein Dutzend Bücher von ihm dabei gewesen sein.
    Während mein Vater sie vorsichtig auf meinem Schreibtisch ablegte, erklärte er mir, dass Twain der Grund sei, warum er Literatur unterrichte. Es gebe nichts, was er einem nicht beibringen könne, und nichts, wozu er keine Meinung habe. Twain sei der beste Ratgeber, sagte er, und wenn jeder Mensch in seinem Leben mindestens eines seiner Bücher lesen würde, wäre die Welt ein wesentlich besserer Ort.
    Er strich mit dem Daumen über meinen Wirbel, wie er es hin und wieder tat, zerzauste mir das Haar und lächelte.
    Das war im Winter. Inzwischen habe ich die Hälfte des Stapels geschafft. Ich verstehe, warum er die Bücher ausgewählt hat. Harper Lee hat mir am besten gefallen, aber meinem Vater habe ich erzählt,
Huckleberry
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