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Wenn es Nacht wird in Miami

Wenn es Nacht wird in Miami

Titel: Wenn es Nacht wird in Miami
Autoren: EMILIE ROSE
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gehörte nicht zu den auffallenden Schönheiten, denen die Männer auf der Straße hinterherpfeifen. Aber sie hatte ein hübsches Gesicht mit großen, ausdrucksvollen braunen Augen und blondes Haar. Schulterlang, schätzte Mitch, denn sie hatte es wie vor drei Tagen zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Von ihrer ersten Begegnung erinnerte sich Mitch noch an ihre schlanke, sportliche Figur mit den endlos langen Beinen und nicht übermäßig großen, aber festen Brüsten. An diesem Tag war nicht viel davon zu entdecken, denn Carly trug einen Trainingsanzug in einem provozierenden Bonbonrosa.
    Eineiige Zwillinge, dachte Mitch, beinahe kann ich den Alten verstehen. Trotzdem hätte er daran denken müssen zu verhüten. Mitch überlegte, ob Marlene Corbin seinen Vater wohl bewusst hereingelegt hatte.
    Nachdem Carly das Panorama genügend bewundert hatte, trafen sich ihre Blicke. Mitch registrierte ein leichtes Vibrieren in der Magengegend, als sie sich ansahen. „Nun, Miss Corbin, sind Sie zu einer Entscheidung gekommen?“
    „Rhett kann in Kincaid Manor einziehen“, antwortete Carly in sachlichem Ton.
    „Wunderb…“
    „Allerdings unter einer Bedingung: Ich komme mit. Ich werde ebenfalls bei Ihnen einziehen.“
    „Wie bitte?“
    „Ich lasse Rhett selbstverständlich nicht allein bei Ihnen, Mr. Kincaid. Sie strahlen ungefähr so viel Wärme aus wie der Südpol. So eine Atmosphäre ist nicht gut für ein Kind.“
    „Ich weiß wesentlich mehr über Kinder, als Sie annehmen“, erwiderte Mitch leicht eingeschnappt.
    „Ach wirklich? Den Eindruck hatte ich bei unserer ersten Begegnung nicht. Sie haben Rhett nicht einmal angesehen. Dabei ist er Ihr Bruder.“
    „Halbbruder, wie Sie selbst schon richtig bemerkten. Es hat sich nicht ergeben.“
    „Blödsinn! Jemandem einen Blick oder ein Lächeln zu schenken, muss sich nicht ergeben.“
    Da hatte sie wohl recht, dachte Mitch. „Wie viel verlangen Sie?“
    „Fangen Sie nicht wieder damit an. Ich will Ihr Geld nicht.“
    „Ihre Anwesenheit in meinem Haus ist nicht nötig“, sagte Mitch förmlich und fragte sich, worauf sie dann hinauswollte. Sah sie dieses Jahr in Kincaid Manor als eine Art Kuraufenthalt an?
    „Rhett und ich bleiben zusammen. Ich habe das Sorgerecht für ihn, und ich werde es behalten. Sie sollten jetzt besser zu einer Entscheidung kommen. Wenn ich meinen Anwalt richtig verstanden habe, bleibt Ihnen nicht mehr viel Zeit, um die Klauseln des Testaments zu erfüllen.“
    Auch damit hatte sie recht. Dreißig Tage Zeit hatten sie, um alles in die Wege zu leiten. Fast zwanzig Tage davon waren bereits verstrichen, die meisten damit, dass zwei Juristenteams Everetts Testament erfolglos Wort für Wort auf eine anfechtbare Stelle hin durchpflügt hatten. Erkundigungen über Carly Corbin einzuziehen und ein Kindermädchen aufzutreiben hatte natürlich auch Zeit gekostet.
    „Da ich annehme, dass Sie meine Telefonnummer haben, war’s das wohl für heute“, meinte Carly und wollte gehen.
    Mitch dachte nicht daran aufzugeben. Er knallte sein Scheckbuch auf den Schreibtisch, schlug es auf und trug Datum und Unterschrift ein. Die Summe ließ er frei. Dann schob er ihr den Scheck und den Stift hin und sagte: „Wie viel wollen Sie? Tragen Sie die Summe selbst ein, die Sie für angemessen halten.“
    Ohne dem Blankoscheck Beachtung zu schenken, sah Carly Mitch mit der Mischung aus Abscheu und Mitleid an, mit der man den halbverwesten Kadaver eines auf der Straße platt gefahrenen Igels betrachtet. „Sie kapieren es einfach nicht, Kincaid, oder? Es geht hier nicht um Geld. Es geht um Rhett, einen kleinen, lebendigen, liebenswerten Jungen, und darum, was das Beste für ihn ist. Nur darum. Und Sie sind ganz sicher nicht das Beste für ihn.“
    „Dem Kind wird es bei mir an nichts fehlen.“
    „Das Kind heißt Rhett. Und er braucht mehr, als man für Geld kaufen kann.“
    „Okay: Rhett!“ Allmählich verlor Mitch die Geduld. „Rhetts Betreuung wird erstklassig sein.“
    Nun platzte auch Carly der Kragen. Mitch fand, dass sie bezaubernd aussah, wenn sie wütend wurde. Sie trat näher, stützte die Handflächen auf den Schreibtisch und beugte sich zu Mitch. „Was nennen Sie eine erstklassige Betreuung? Ist da jemand, der Rhett in die Arme nimmt und tröstet, wenn er einen schlimmen Traum gehabt hat? Ist jemand da, der ihm von seiner Mama erzählt, der ihm das Gefühl gibt, geliebt zu werden, auf dieser Welt willkommen zu sein?“
    Bei den letzten Worten
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