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Wenn Die Seele Verletzt Ist

Wenn Die Seele Verletzt Ist

Titel: Wenn Die Seele Verletzt Ist
Autoren: Christiane Sautter
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wurden, Mißbrauchserfahrungen in der Kindheit hatten (in v. d. Kolk, S. 188). Frauen, die einen Inzest erlebten, sind doppelt so häufig Opfer von körperlicher Gewalt in ihrer Ehe. Opfer von Vater-Tochter-Inzest sind viermal häufiger als nicht betroffene Frauen Darstellerinnen in Pornofilmen. Traumatisierte Frauen, die in einer von Gewalt geprägten Ehe leben, haben die größten Schwierigkeiten, sich daraus zu lösen. So wie sich die Geiseln im bereits beschriebenen Stockholmsyndrom mit ihren Entführern verbünden, so bauen in ihrer Kindheit mißbrauchte Frauen ebenfalls eine starke Beziehung zu ihren Peinigern auf. Sie glauben, den Mißbrauch durch besonders angepaßtes, vorbildliches Verhalten vermeiden zu können. Da sie nie gelernt haben, sich für ihre eigenen Bedürfnisse einzusetzen, gelingtes ihnen nicht, sich bei den in Beziehungen üblichen Konflikten verbal auszudrücken und sich konstruktiv auseinanderzusetzen. So ziehen sie sich auf die gewohnten Lösungsmechanismen zurück, indem sie in ihre Innenwelt flüchten. Darauf reagiert der Partner häufig mit neuerlicher Gewalt; und so wiederholt sich der traumatisierende Kreislauf für das Opfer und den Täter. Nur wenn beide bereit sind, an ihren Traumata zu arbeiten, kann aus der Mißbrauchsverbindung eine Partnerschaft werden. Leider sind Männer, die ihre Frauen mißhandeln, nur selten bereit, den Fehler bei sich zu sehen. Sie erleben sich häufig als stark und rational und können viele „logische“ Gründe anführen, die die Gewalt gegenüber der Frau rechtfertigen. Die Tatsache, daß es nie genügend freie Plätze in den Frauenhäusern gibt, spricht eine deutliche, traurige Sprache. Eine Änderung kann sich erst dann einstellen, wenn die betroffenen Männer begreifen, daß sie vor allem deshalb Täter sind, weil sie als Kinder Opfer waren, und ihr Trauma bearbeiten. Solange in der westlichen Welt Gewalt als adäquates Mittel zur Lösung von Problemen angesehen und durch Filme, Zeitschriften und Computerspiele als besonders männlich verherrlicht wird, stehen die Chancen für einen baldigen Wandel jedoch eher schlecht.
     
     
    Trauma und Gesellschaft
     
    In unserer Gesellschaft herrscht die grundsätzliche Überzeugung, daß „gute“ Menschen ihr Leben meistern und nur „schlechte“ oder „schwache“ Menschen auf der Strecke bleiben. Katastrophen werden von verantwortungsbewußten Menschen gemeistert, ja, solche Persönlichkeiten gehen gestärkt aus schwierigen Situationen hervor. Für Krisen wie Ehescheidung, schwere Krankheiten, Arbeitslosigkeit oder Tod eines Nahestehenden wird jedem zwar eine gewisse Zeit zur seelischen Verarbeitung zugebilligt – Männern weniger als Frauen –, doch dann sollte die Krise bewältigt bzw. „abgehakt“ sein.
    Außerdem geschehen bestimmte schlimme Dinge sowieso nur „den anderen“, die ihr Leben eben nicht im Griff haben. Auf Grund dieser weitverbreiteten Überzeugung geraten Menschen, die Opfer von Gewaltverbrechen werden, leicht in Gefahr, dafür auch noch beschuldigt zu werden. So hängt Frauen, die eine Vergewaltigung erlitten haben, der ausgesprochene oder unausgesprochene Vorwurf nach, den Täter durch aufreizende Kleidung oder Verhalten selbst eingeladen zu haben. Tenor ist immer, daß die Opfer schuldig oder zumindest mitschuldig sind an dem, was ihnen widerfährt. Diese Haltung setzt Opfern von Gewaltverbrechen mindestens genauso zu, wie das eigentliche Trauma. Die großen Schwierigkeiten, sich emotional mit dem Schlimmen auseinanderzusetzen, werden dadurch noch verstärkt, und so versucht das Traumaopfer, so schnell wie möglich zur Tagesordnung überzugehen. Das nicht verarbeitete Erlebnis wird verdrängt und macht sich in psychischen oder körperlichen Symptomen bemerkbar. So werden aus traumatisierten Menschen ganz schnell Patienten mit chronischen Störungen.
    Dies gilt im besonderen für traumatisierte Kinder. Kinder, die sexueller und/ oder körperlicher Gewalt ausgesetzt sind, deren Umfeld aggressiv oder vernachlässigend war, fallen im Kindergarten und in der Schule häufig durch unangemessenes Verhalten auf. Sie sind entweder abgestumpft oder in einem Zustand ständiger, oft aggressiver Erregung. Das emotionale Spektrum eines solchen Kindes ist auf wenige lebenserhaltende Affekte beschränkt, und zwar je nach Temperament vor allem auf Gefühle, die entweder Flucht oder Kampf ermöglichen. Besonders Lehrer und Erzieher, die in sozial schwachen Stadtgebieten unterrichten, haben
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