Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn Die Seele Verletzt Ist

Wenn Die Seele Verletzt Ist

Titel: Wenn Die Seele Verletzt Ist
Autoren: Christiane Sautter
Vom Netzwerk:
Arbeitnehmer nicht, sich gegen den Terror zu wehren, sie werden statt dessen krank. Die steigenden Fehlzeiten belasten die Betriebe und letztlich die Volkswirtschaft ganz erheblich. Erst in den letzten Jahren wurden Beratungsstellen für Mobbingopfer eingerichtet, und auch in größeren Betrieben scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, daß es rentabler ist, Streitigkeiten in Teams durch den Einsatz von Fachkräften (Coaches) zu lösen.
    Merkwürdigerweise entsteht trotz aller gesicherter wissenschaftlicher Beweise, daß bestimmte Symptome und Verhaltensweisen durch traumatische Erlebnisse verursacht werden, in Deutschland wenig Handlungsbedarf. Trauma wird von Ärzten und Psychotherapeuten immer noch recht selten diagnostiziert, was unverständlich ist, auch wenn die Traumaforschung hier erst in den achtziger Jahren, also runde zehn Jahre später als in den USAbegann. Immer wieder muß ich staunen, wenn objektiv schwer traumatisierte Klienten und Klientinnen nach Klinikaufenthalten und jahrelanger Psychotherapie bei einem Besuch in meiner Praxis diesen Begriff zum ersten Mal hören.
    Es liegt zu einem nicht geringen Teil an der deutschen Geschichte, daß Trauma und dessen Folgen bei uns so vernachlässigt wurden und immer noch werden. Obwohl Sigmund Freud schon in den zwanziger Jahren auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen traumatischen Erlebnissen und psychischen Symptomen hingewiesen hatte, genügte den Deutschen nach der Machtergreifung Hitlers das Judentum Freuds, um seine Erkenntnisse in Bausch und Bogen zu verdammen. Die braune Ideologie, mit der die deutsche Jugend immerhin zwölf Jahre lang indoktriniert wurde, förderte das Ideal des starken Mannes und der ihn unterstützenden, durchhaltefähigen Frau. Der starke Deutsche war der gesunde, der wahre Deutsche. In Hitlers Eliteschulen gehörte es zum Sportunterricht, daß ältere Jungen die jüngeren mindestens einmal in der Woche beim Boxunterricht zusammenschlugen. Die Jungen sollten lernen, Schmerzen zu ertragen und sich zu wehren, mit anderen Worten: Sie sollten kriegstauglich werden.
    Nach dem Krieg hing die Frage der Schuld am Tod von 6 Millionen Juden, von Sinti und Roma, von psychisch Kranken und von behinderten Kindern wie ein Damoklesschwert über der deutschen Bevölkerung und machte eine Auseinandersetzung mit dem Kriegstrauma jahrzehntelang unmöglich. Deutsche waren Täter und wurden international nur als Täter gesehen. Der gute Deutsche war allemal der schuldbewußte, demütige Deutsche, keinesfalls jedoch durfte er sich auch als Opfer verstehen. Vor dem Verbrechen an der Menschlichkeit traten deshalb die Symptome der Frontsoldaten, der Kriegsgefangenen, der Vertriebenen und Ausgebombten, der Vergewaltigten, der Verschütteten und Hungernden ganz einfach in den Hintergrund. Irgendwie hatten die Deutschen dieses Leid mehr als verdient. So wurde weiterhin nicht über das Trauma als Grund für eine psychische Erkrankung geforscht.
    Noch heute reagieren Menschen auf die Frage nach der Beteiligung ihrer Familienmitglieder am Naziregime ausweichend. Viele sind völlig ahnungslos. Die Zeitgenossen beteuern sofort, nichts gewußt, nichts gemerkt und auch nicht beteiligt gewesen zu sein. Es scheint fast so, als seien die „Nazis“ von einem anderen Planeten nach Deutschland geflogen, hätten dort zwölf Jahre lang ihr Unwesen getrieben und seien nach ihrer Niederlage wieder verschwunden. Bei aller Geschichtsbeflissenheit und politisch korrekten Betroffenheit ob der Grausamkeiten des NS-Regimes fehlt in Deutschland und auch in Österreich eine emotionale Auseinandersetzung damit, daß die Helfer und Unterstützer dieser beispiellosen Schreckensherrschaft in den eigenen Familien zu finden sind!
    Die Unterdrückung dieser wichtigen Auseinandersetzung fordert ihren Tribut. Grenzüberschreitendes, gewalttätiges Verhalten tobt sich hinter heilen Fassaden in den Familien aus. Uns fiel auf, daß überzeugte Nationalsozialisten ihre Kinder erschreckend häufig sexuell mißbrauchten oder körperlich mißhandelten. Natürlich können wir dies empirisch nicht beweisen, wenngleich Jürgen Müller-Hohagen in seinem Aufsatz „Warum Relativieren und Schlußstrich-Mentalität schädlich sind“ zu der gleichen Erkenntnis kommt.
    Erst seit 1989, also seit der Wiedervereinigung, setzen sich vereinzelt Wissenschaftler und auch die Medien mit den Opfern des Deutschen Volkes auseinander. Differenziert wird jetzt das Schicksal der Sudetendeutschen und der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher