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Wenn die Nacht dich kuesst...

Wenn die Nacht dich kuesst...

Titel: Wenn die Nacht dich kuesst...
Autoren: Teresa Medeiros
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erschauern, so heftig, dass er seine Knochen fast klappern hören konnte. Er brach auf den Steinen zusammen, und die Kette entglitt seinen kraftlosen Fingern.
    Er starb. Bald schon würde er nicht länger zu den unheiligen Reihen der lebenden Toten zählen, sondern nur zu den Toten. Ohne seine Seele hatte er keine Hoffnung auf Erlösung, auf einen Himmel. Er würde einfach verdorren und zu Staub zerfallen, und der Wind würde die krümelige Asche seiner Knochen in alle vier Himmelsrichtungen verstreuen.
    Er kniff die Augen zu, das Licht der einzigen Fackel war zu hell, um es zu ertragen. Die Gebete, die er und Adrian in ihrer Kindheit allabendlich im Singsang gesprochen hatten, schossen ihm durch den Sinn wie ein quälender Refrain. Kein Gebet konnte ihn vor dem Hunger nach Blut retten, der gegen seinen Verstand und seinen Willen wütete. Der Drang, Nahrung zu suchen, war stärker als jeder andere Instinkt und überlagerte auch die letzten Reste von Menschlichkeit in ihm, die zu bewahren, Adrian so hart gekämpft hatte.
    Stöhnend drehte Julian sein Gesicht zum Boden. Selbst wenn Adrian rechtzeitig kam, wusste er nicht, ob er es ertragen könnte, wenn sein Bruder ihn wieder so sah. Fast wünschte er sich, Duvalier hätte ihn auf einer Wiese zurückgelassen, wo die gnadenlosen Strahlen der Sonne seiner elenden Existenz ein Ende bereitet hätten, ehe überhaupt jemandem auffiel, dass er vermisst wurde.
    Plötzlich sah er Portia Cabots Gesicht vor sich in der Dunkelheit, übermütig und reizend unschuldig. Er fragte sich, ob sie um ihn trauern würde, wenn er nicht mehr war. Würde sie seinetwegen Tränen vergießen und von dem träumen, was hätte sein können? Er versuchte, sich das Bild ins Gedächtnis zu rufen, wie sie auf der Klavierbank neben ihm gesessen hatte, aber alles, was er sehen konnte, war der Kerzenschein auf ihrem zart gebogenen Hals, das köstliche Flattern ihres Pulses unterhalb ihrer Kehle, als sie den Kopf in den Nacken legte und ihn anlächelte. Er konnte sehen, wie er sich vorbeugte, mit den Lippen die seidenweiche Haut streifte ... ehe er seine Zähne tief in ihr Fleisch grub, ihr rücksichtslos die Unschuld und ihr Blut raubte.
    Niemals!
    Mit einem wilden Aufheulen bäumte sich Julian auf, zerrte immer wieder an den Ketten, bis er schließlich völlig verausgabt in den Schlaf der Erschöpfung fiel.
    Er hörte nicht das Knarren, als sich die Tür öffnete. Wusste nicht, dass er nicht länger allein war, bis Duvaliers melodische Stimme sich wie mit honigsüßem Gift um ihn legte. »Du enttäuschst mich, Jules. Von dir hätte ich mehr erwartet. «

22
    Schließlich ist es doch die Kleine, die mir wie ein anhängliches Hundejunges auf Schritt und Tritt folgt und um Brosamen meiner Aufmerksamkeit bettelt. Sie ist es, die mit ihren lieblichen blauen Augen zu mir aufschaut, als wäre ich die Antwort auf ihre Gebete. Wenn mir schon ein Ausrutscher passiert, meinst du nicht auch, es wäre mit ihr?
    Adrian überprüfte mit knappen Bewegungen die Ladung seiner Pistole, ehe er sie sich in seinen Hosenbund steckte. Die Worte seines Bruders verfolgten ihn ebenso wie Carolines fester Blick.
    Während sie ihn von der Türschwelle seines Schlafzimmers aus beobachtete, griff er in die abgestoßene Truhe, die mit ihm und Julian über die sieben Weltmeere und um den halben Globus gereist war, und holte einen schwarzen Umhang heraus. Er legte ihn sich um die Schultern und schloss ihn am Hals mit einer Kupferbrosche.
    Mehrmals noch fasste er tief in die Truhe und füllte sich die verschiedenen Innentaschen mit einem halben Dutzend aus Espenholz und wildem Weißdorn geschnitzten Pflöcken, alle tödlich spitz, mit mehreren Messern verschiedener Formen und Größen, drei Flaschen Weihwasser und einer Miniaturarmbrust.
    Er schob gerade eine kleine, aber tödliche Silberklinge in die Scheide in seinem Stiefel, als Caroline zu ihm trat und in die Truhe spähte.
    »Willst du meine Schwester suchen oder in den Krieg ziehen?«
    Adrian warf den Deckel zu und drehte sich zu ihr um. Er war sich überdeutlich des Bettes hinter sich bewusst. Die Laken waren immer noch unordentlich von ihrem Liebesspiel, und er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass er irgendwie diesen gesegneten Ort mit seinen Todesinstrumenten entweihte. Als er die rostroten Flecken auf den Laken entdeckte — alles, was von Carolines Unschuld übrig war—, vermittelte ihm der Anblick fast das Gefühl, eines der Ungeheuer zu sein, die zu jagen er sich
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