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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist
Autoren: T. C. Boyle
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Leiter zu fassen zu bekommen, die, im Gegensatz zum Boot, natürlich fest verankert ist, aber heute ist das kein Problem. Nicht mal für langsame und ältere Menschen. Nicht mal für Menschen mit Babys.
    Die Szenerie ist von einer so reinen Schönheit, dass es ihr jedesmal den Atem verschlägt: Die Felsen ragen auf und lassen sie und das Boot und alles von Menschenhand Gemachte klein und unbedeutend erscheinen, über ihr wimmelt es von Seevögeln, und der Blick entlang den Klippen nach Osten ist so wild und urtümlich, dass man die großen Flugsaurier der Kreidezeit, die dort auf ihren unordentlichen Nestern gehockt haben, beinahe sehen kann. Auf dem Steg teilen sich die Passagiere in zwei Gruppen: Die Park-Service- und TNC-Leute steuern auf das in der Nähe gelegene Ranchhaus zu, während die Camper und Tagesausflügler in den Genuss eines Vortrags von einem der freiwilligen Mitarbeiter des Park Service kommen, der ihnen die Regeln aufzählt, Regeln, die ihrer eigenen Sicherheit dienen und von den meisten auch befolgt werden, auch wenn es Idioten gibt, die das nicht tun. Wie könnte es auch anders sein, wenn die Allgemeinheit Zutritt hat? Die Leute fallen von Klippen und ertrinken, sie betrinken sich und werden gewalttätig, sie brechen sich Knochen, ihr Herz macht nicht mehr mit – das ist der Alltag des Park Service. Alma hegt beinahe einen Groll gegen die Allgemeinheit, gegen diese Leute, die über alles hinwegtrampeln und ihren Abfall hinterlassen, die Artefakte stehlen und Vögel von ihren Nestern aufschrecken, auch wenn sie weiß, dass sie nicht so denken sollte. Und doch: wie viel besser wäre es, wenn niemand hierherkäme und die Inseln einfach so sein könnten, wie sie immer waren. Oder hätten sein sollen. Wie damals, bevor die Aleuten kamen und die Seeotter ausgerottet haben, vor den Schafzüchtern, den Viehzüchtern und allen anderen.
    Kurz bevor der Kapitän ablegt, um die an Bord Gebliebenen nach Prisoners’ Harbor zu bringen, hat der Freiwillige – ein eifriger Mann in mittleren Jahren mit Shorts, einer aus der Stirn geschobenen Mütze und einem kunstvoll geschnitzten Wanderstab – noch eine überaus wichtige Ansage zu machen: »Seien Sie um halb vier wieder hier am Steg – das Boot legt um vier Uhr ab.« Er hält inne und sieht allen nacheinander ins Gesicht. »Sonst müssen Sie über Nacht hierbleiben, ob Sie das nun geplant haben oder nicht.« Die Camper und Picknicker und Wanderer wechseln Blicke und grinsen schief: Auf keinen Fall werden sie das Boot verpassen, denken sie, aber natürlich gibt es oft genug einen, der es eben doch verpasst.
    In diesem Augenblick, als Wade und Jen und die anderen das Zeug für die Party ausladen und Alma nur dasteht und alles in sich aufnimmt – ihre erste Fahrt zur Insel, seit Beverly geboren ist! –, fängt sie zufällig den Blick einer Frau auf, die rechts neben dem freiwilligen Mitarbeiter steht. Die Frau – sie ist etwa so alt wie Almas Mutter – starrt sie unverwandt an. Kennen sie einander? Für eine Frau von etwa Sechzig sieht sie gut aus, mit ihrem wilden Schopf aus ergrauendem Haar, das unter einem dieser abgenutzten Strohhüte hervorsieht, wie sie Mexikaner tragen, und dem allgemeinen Eindruck von Fitness und Durchtrainiertheit, den sie macht, mit ihrer eher jugendlichen Kleidung – Jeans und Jeansjacke, ein schwarzes T-Shirt mit dem Logo irgendeiner Band und Cowboystiefel – und der Gitarre, die sie sich über den Rücken gehängt hat. Sie starrt noch immer, und Alma starrt zurück, als Wade in ihr Blickfeld tritt.
    Er lächelt. Von jeder Schulter hängt ein schwerer Segeltuchsack voller Lebensmittel, und seine Beinmuskeln sind angespannt unter der Last. »Komm, Alma«, sagt er, »was stehst du hier herum? Weißt du nicht, dass gleich eine Party steigt?«
    Stimmt. Und der Tag umschmeichelt sie wie ein Bad. Sie sitzt, umgeben von Freunden, im Schatten das alten, aus Lehmziegeln errichteten Ranchhauses, während vom Grill verheißungsvolle Gerüche aufsteigen und die Leute zu ihr kommen, einer nach dem anderen, um sich mit ihr zu unterhalten und das Baby zu bewundern, als wäre sie eine Würdenträgerin, eine Potentatin, die Königin der Insel auf ihrem Thron. Schließlich ist es an der Zeit, und sie steht auf und hält ihre Rede. Beverly ist gut gelaunt und grapscht nach dem Mikrofon, und sie selbst ist so entspannt und ungezwungen, als wäre sie zu Hause und spräche zu ihrem Spiegelbild. Sie preist Annabelle und Freeman, Frazier und seine
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