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Wenn das Glück dich erwählt

Wenn das Glück dich erwählt

Titel: Wenn das Glück dich erwählt
Autoren: Linda Lael Miller
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des Schlittens.
    Scully drehte sich zu ihr um und lächelte sie an. »Es ist weit«, antwortete er, »aber wir müssten noch vor Einbruch der Nacht zu Hause sein.«
    »Wenn wir nicht von Wölfen aufgefressen werden«, erwiderte Abigail, und es klang beinahe erwartungsvoll.
    »Richtig«, stimmte er schmunzelnd zu.
    »Oder von Indianern angegriffen werden.«
    »Das auch.« Scully nickte ernst.
    »Oder von Banditen überfallen werden.«
    »Abigail!«, mischte Evangeline sich ein. »Das genügt jetzt. Mr. Wainwright muss sich auf das Lenken der Maultiere konzentrieren.«
    »Scully«, berichtigte er sie, ohne es zu wollen. Dann wurde er heiser und räusperte sich umständlich. »Nennen Sie mich Scully.«
    Ihre braunen Augen musterten ihn ernst. »Also gut. Aber ich glaube nicht, dass es korrekt wäre, wenn Sie mich mit meinem Vornamen ansprechen.«
    Es versetzte ihm einen Stich, aber nicht etwa, weil Evangeline darauf bestand, Distanz zu wahren. Es war die Traurigkeit, die er aus ihren Worten heraushörte. »Was immer Sie für richtig halten, Ma'am.«
    »Ich denke, Ma'am wird für den Moment genügen«, erwiderte sie steif. Er fand es interessant, dass sie ihn nicht bat, sie mit »Mrs. Keating« anzusprechen, und wünschte plötzlich, mehr zu wissen über ihren ersten Mann, der Big Johns liebster Cousin gewesen war.
    Aber andererseits war es wahrscheinlich besser, sich auf seine eigenen Angelegenheiten zu beschränken. Denn schließlich besaß auch er Geheimnisse, die er nicht gern mit anderen geteilt hätte.
    Das Land, das sie durchquerten, war ziemlich flach, aber überall gab es Wäldchen aus Pinien, Cottonwood und Birken, und wenn Evangeline sich umschaute, war die Postkutschenstation nur noch als kleiner dunkler Fleck im
    Schnee zu sehen, mit zwei Kaminen, aus denen dünner Rauch emporstieg. Einerseits sehnte sie sich danach, in den Schutz dieses kleinen warmen Gebäudes zurückzukehren, wo sie und Abigail in Sicherheit sein würden, aber andererseits wusste sie auch, dass kein Ort wirklich sicher war. Selbst in den Maisfeldern von Pennsylvania hatten Männer einander umgebracht, sich gegenseitig erschossen und erstochen und mit Kanonenfeuer in die Luft gejagt. Die beiden großen Armeen, die in den ersten Julitagen 1863 in Gettysburg aufeinander gestoßen waren, hatten Blut und Kummer, zerstörte Ernten und gebrochene Herzen hinter sich zurückgelassen und Schäden von unvorstellbaren Ausmaßen verursacht. Und die psychologischen Folgen des Massakers waren sogar noch sehr viel unheilvoller.
    Evangeline schloss die Augen vor den Bildern, die sie nie vergessen würde. Nach der Schlacht in Gettysburg waren sowohl verwundete Unionssoldaten wie auch Rebellen in die umliegenden Städte gebracht worden, um dort notdürftig versorgt zu werden, da die Feldlazarette die unzähligen Verwundeten schon lange nicht mehr fassen konnten. Sie und andere Frauen aus ihrer kleinen Gemeinde hatten getan, was sie konnten, um zu helfen, hatten Verbände gewechselt und Briefe für Angehörige geschrieben, die meiste Zeit jedoch nur hilflos herumgesessen und irgendeinem Jungen, der im Sterben lag, die Hand gehalten. Dabei hatte sie oft gedacht, wie jetzt wieder, dass es, wenn die Uniform eines Mannes blutdurchtränkt war, unmöglich war, die eine von der anderen zu unterscheiden.
    Sie schwieg, bis die Station nicht mehr zu sehen war, und dann, angesichts der vielen kalten Stunden in Scullys Gesellschaft, die vor ihr lagen, ganz zu schweigen von dem langen Winter, entschloss sie sich, eine Unterhaltung zu beginnen. Mit dem Gedanken, dass dieser Moment so gut wie jeder andere war, um etwas klarzustellen, richtete Evangeline sich sehr gerade auf, faltete die Hände auf dem Schoß und begann: »June-bug erzählte mir, Sie hätten in der Armee gedient. Während des Krieges, meine ich.«
    Seine blaugrünen Augen, in denen eben noch so etwas wie Mutwillen gefunkelt hatte, wurden schmaler, als er sie betrachtete, und ein harter Zug erschien um seinen Mund. Dann nahm er sich zusammen, lächelte und nickte zustimmend. »Ja, Ma'am«, sagte er.
    »Unter General Lee.«
    »Ja, Ma'am. Unter General Lee.«
    Es war gar nicht leicht, Scully Wainwright in eine simple Unterhaltung zu verwickeln. Evangeline hätte noch nicht sagen können, ob das etwas Gutes oder etwas Schlechtes war. »Ich nehme an, Sie wissen, dass mein Mann ... dass ich ...«
    »Dass Sie Yankees waren?«, fragte Scully, und jetzt klang wieder eine leise Belustigung in seiner Stimme mit.
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