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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte
Autoren: Otto Basil
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Sie waren „komplex“, berücksichtigten die jeweiligen Gegebenheiten: wirklichkeitsnahe, sozusagen wissenschaftliche Befehle. Der Oberbaurat war der geborene Planer und Organisator, eine Führernatur. Er und die zwei Geologen (die die Ortskenntnis besaßen) entwarfen einen genauen Fluchtplan, alle Einzelheiten der Expedition wurden festgelegt, alle Risiken erwogen, mit den Vorbereitungen und dem Training der Leute wurde ruckzuck begonnen. So und so viele Schlitten und Hunde, so und so viele Werkzeuge, heizbare Parkas, Waffen, so und so viel Treibstoff. So und so viele Begleiter. Es würden indianische Hiwis sein, nicht Eskimos. Ehrensache. Indianer standen der Herrenrasse näher. Obwohl die Geheimhaltung wegfiel, ein Tarnname daher sinnlos war, gab der Oberbaurat (wahrscheinlich aus alter Gewohnheit) dem Fluchtplan einen Geheimnamen – „Unternehmen Winnetou“. Ein Rest von Naphthalin muffelte also auch hier. Die Schutzmannschaft wurde ausgemustert, Herr von der Leyen gehörte selbstverständlich dazu.
    Es war Dienstag. Entweder am Donnerstag oder Freitag, je nach der Wetterlage, wollte man zeitig in der Früh aufbrechen; Landepiste und Funkstation sollten zuerst, alles übrige hernach zerstört werden. Die Iglus würden durch den Luftdruck einstürzen. Egal. Über kurz oder lang wären die Eskimos sowieso ins UmL hinübergewechselt.
    Für die Kranken – außer Sigga erkrankte noch ein junger Industrieller, der in der rheinischen Bombennacht nervlich zum Handkuß gekommen war – wurde ein großer, bequemer Motorschlitten bereitgestellt. Ein zweiter sollte die Führung der Karawane übernehmen. Äußerst knapp war der Mundvorrat – ein ernster Engpaß. Die Geologen versprachen, zusätzliche Verpflegung im Arbeitslager aufzutreiben, soweit dies möglich war. Ein Kalorienplan wurde ausgearbeitet und strenge Rationierung angeordnet.
    Es sah sehr trübe aus, so trüb wie das Wetter. Jugurtha sann nach. Wie würde dieses Abenteuer enden, und welches Leben würde sie in den Eishöhlen von Niflheim erwarten? Sein Optimismus schmolz dahin – er hatte alles schrecklich satt. (Wieder einmal.) Praktisch war das Reich führerlos, aufgegeben, es zerfiel, röchelte unterm Würgegriff asiatischer Horden. Und das Schicksal der Welt, nicht nur des Reiches, lag in den Händen einiger Abenteurer und Wissenschaftler, deren politisches Denken durch den Werwolf geprägt war. Forscher, Organisatoren, Lenker, geniale Führer, aber auch geborene Mörder und Selbstmörder. Wenn sie ihr Ziel – die Weltherrschaft – erreichten, würde der Planet krepieren. Wenn sie ihr Ziel nicht erreichten, würde der Planet auch krepieren. Hatte es bei solchen Aussichten einen Sinn, zu überleben? Für ihn einen Sinn? Falls Sigga gesund werden sollte (was unwahrscheinlich war), wäre sie ja doch für ihn verloren. Sie würde dann sofort einem Stärkeren, Brutaleren folgen wie eine läufige Hündin. Oh, es gab eine Bindung zwischen ihnen, aber diese schien ihm befristet, war Liebe auf Abruf, würde so lange dauern wie ihrer beider Krankheit. Es war Blutsverwandtschaft durch eine besondere Art von Blutzersetzung. Nicht Kameradschaft, nicht Zusammengehörigkeit – galoppierender Blutkrebs! Die Gefährtin, Gattin seiner Träume war ein Hirngespinst. Er liebte nicht eine Amazone, eine Walküre, sondern eine Schlampe, eine todkranke, irrsinnige Schlampe.
    Und wenn trotz aller Fäulnis das Leben weiterginge, wie sähe es aus? Die neue Gesellschaft würde nicht aus Menschen, aus Individuen, sondern aus Apparaten bestehen, aus sinnlos Befehlenden und hirnlosen Befehlsempfängern. Diese Entwicklung hatte sich leider schon angekündigt. Die hehren Ideale, für deren Verwirklichung er einst als einfacher Soldat der braunen Armee angetreten war, wurden tagtäglich verfälscht, verraten, in den Schmutz getreten. Man verlachte sie. Romantik. Klamotten. Hier stinkts nach Naphthalin. Eine ganz andere Sorte Mensch (Mensch?) kam da herauf und würde herrschen. Die kommenden Machthaber würden statt des deutschen Gemüts einen ferngesteuerten Denkspeicher eingebaut haben. Riesenameisen mit dem Verstand von Übermenschen!
    Trotz der Müdigkeit, die in seinen Knochen saß und fraß, machte er eine Runde nach der andern. Irgendwo fern im Unsichtbaren, oberhalb der Nebeldecke, brummten Flugzeuge. Das erinnerte an jenes stetige Motorengeräusch daheim im deutschen Luftraum. Und plötzlich dachte er an Heydrich, die Gyromantik, sein Heim, an Ingrid, ans Klavierspielen.
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