Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wendland & Adrian 02 - Die Krypta

Wendland & Adrian 02 - Die Krypta

Titel: Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
Autoren: Thomas Görden
Vom Netzwerk:
Eindrucksvollste deutlich. Die Welt wird wieder in jenen Urzustand versetzt, in dem sie sich befand, als alles Land wüst und leer war und der Geist Gottes über den Wassern schwebte. Immer tiefer fressen sich die Bagger hinab, Hunderte von Metern tief und entreißen dem Fleisch der Erde die Schätze, die Gott für den Menschen darin versteckt hat.
    Auf der Straße näherte sich ein Wagen. Er war sicher, dass sich eine Frau leichter töten ließ als ein Mann. Er verspürte bei dieser Vorstellung einen geringeren inneren Widerstand. Selbstverständlich waren auch Frauen Geschöpfe Gottes. Doch Geistigkeit konnten sie nur erlangen, wenn sie sich der männlichen Autorität unterwarfen. Die fleischlichen Versuchungen waren göttliche Prüfungen, die der Seele Läuterung und geistiges Wachstum ermöglichen sollten. Frauen waren der Erde naturgemäß näher als Männer und hatten daher weniger Anteil am Heiligen Geist. So war es von Gott beschlossen.
    Der Wagen hielt vor einer Schautafel. Nur noch in der Erinnerung der früheren Bewohner existierende Dörfer, Felder und Waldstücke waren auf ihr eingezeichnet, Gespenster einer von den Schaufelrädern der Bagger aufgefressenen Landschaft. Er löste sich vom Geländer und ging mit ruhigen Schritten auf das Auto zu.
    Die Frau hinter dem Lenkrad kurbelte das Seitenfenster herunter. Er hatte sie ein paar Jahre nicht gesehen und es gab noch genug Licht, um zu erkennen, dass sie gealtert war. Frauen wurden im Alter unansehnlicher als Männer. Die Nähe zu irdischer Fleischlichkeit und Sinnlichkeit forderte ihren Preis, selbst wenn eine Frau aufrichtig nach Gott strebte, was auf diese hierin dem Auto zweifellos zutraf. Sie war Nonne, Oberin eines Klosters. Frauen gegenüber Liebe zu empfinden war nicht leicht, aber bei Nonnen war es ihm am ehesten möglich. Darum schenkte er ihr ein warmherziges, liebevolles Lächeln.
    »Eine gute Idee, diesen Ort als Treffpunkt zu wählen«, sagte sie und erwiderte sein Lächeln. »Hier habe ich mich immer mit Dompropst Oster getroffen, wenn wir Dinge zu besprechen hatten, die unsere ... gemeinsame Verantwortung betrafen. Dort, wo jetzt dieses Loch gähnte, stand das Dorf, in dem ich geboren wurde.«
    »Ich weiß«, sagte er.
    »Ich bin sehr froh, dass Sie mir Ihre Hilfe angeboten haben.« Er nickte. Frauen waren auf die Hilfe des Mannes angewiesen, um Erlösung finden zu können.
    »Jetzt, wo der Dompropst tot ist, besteht kaum noch Hoffnung, die Sprengung der Klosterkirche zu verhindern«, sagte sie. »Wir wollten gemeinsam den Ministerpräsidenten aufsuchen, um in letzter Minute einen Aufschub zu erreichen. Wir waren bereit dafür unser Gelübde zu brechen. Welche andere Wahl blieb uns noch?«
    Ihre Stimme klang alt und müde. Sie sehnt sich nach Erlösung, dachte er, zog die Schultern hoch und rieb seine in leichten Lederhandschuhen steckenden Hände.
    »Der Wind hier draußen ist kalt. Darf ich mich zu Ihnen ins Auto setzen? Dann können wir in Ruhe besprechen, wie ich Ihnen am besten helfen kann.«
    Sie öffnete ihm die Beifahrertür. Als Nonne war sie auf dem Weg zum Heil weiterfortgeschritten als die meisten Frauen. Daher verdiente sie Barmherzigkeit. Er wollte sie nicht unnötig leiden lassen. Nachdem er die Pistole aus der Jacke gezogen hatte, bat er sie sehr ruhig und freundlich die Tabletten zu schlucken. Ihr Gesicht zeigte erst grenzenloses Erstaunen, dann panische Angst. Er musste sie einige Male ohrfeigen, aber das tat er voller Güte und Mitgefühl, wie ein Vater ein Kind züchtigt, das Folgsamkeit lernen soll. Schließlich fügte sie sich. Im fahlen Schein der Innenbeleuchtung sah er zu, wie ihr faltiger Hals sich beim Schlucken bewegte. Er fand, dass sie in diesem Moment große Demut ausstrahlte - demütig betende Mutter Gottes, die höchste Rolle, die einer Frau auf Erden zukam.
    Die Wirkung der Tabletten setzte schnell ein. Ihr Kopf sank nach vom. Ihre Atemzüge wurden erst langsam und tief, dann leise und röchelnd. Nach wenigen Minuten erstarben sie.
    Diesmal stiegen ihm keine Tränen in die Augen. Vielleicht, weil sie nur eine Frau war. Doch die göttliche Liebe erfüllte ihn. Sie allein bestimmte all sein Handeln. Beinahe zärtlich berührte er den Hals der Ordensschwester. Kein Puls. Er stieg aus, ging hinüber zu seinem eigenen Wagen und fuhr davon.
    Susanne schaute der Gestalt entgegen, die aus den Schatten am Museum aufgetaucht war und zielstrebig auf sie zusteuerte. Es war schon fast dunkel. Als die Gestalt näher
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher