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Weltraumpartisanen 19: Astropolis

Weltraumpartisanen 19: Astropolis

Titel: Weltraumpartisanen 19: Astropolis
Autoren: Mark Brandis
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rollte zur Seite und wurde schlaff. Für die TABs war das ein Signal, von ihm abzulassen und sich anderen, noch in Bewegung befindlichen weißen Kitteln zuzuwenden.
    Ich konnte sehen, wie Dr. Becker den Platz überquerte, sich über Graham beugte und ihn untersuchte. Als er sich wieder aufrichtete, schüttelte er langsam den Kopf. Er wirkte plötzlich um Jahre gealtert. Mit schleppenden Schritten trat er ans Rednerpult. Was er zu sagen hatte, war kurz:
    »Leute, Professor Dr. Gilbert Graham ist soeben einem Herzschlag erlegen. Die Schlußfolgerung, die daraus zu ziehen ist, liegt auf der Hand. Auch das weiterentwickelte Tarassenkosche Serum hält nicht, was wir uns davon versprochen haben.«
    Auf der Plaza Humanitas war es totenstill. Die Menge stand wie erstarrt. Vom Erkennen bis zum Begreifen war es ein langer und schmerzvoller Weg.
    Eben noch hatte es für all diese Leute ein gemeinsames Ziel gegeben – und nun, auf einmal, mußten sie sich damit abfinden, daß sie einem Phantom nachgejagt waren.
    In ein paar uns zugewandten Mienen zeigte sich mehr und mehr abgrundtiefe Beschämung – doch noch immer gab es genug Gesichter, in denen die Leidenschaft des Hasses nicht vollends erloschen war. Die Menge war entschlußlos. Doktor Becker setzte noch einmal an: »Geht nach Hause, Leute, und findet euch damit ab: Professor Graham war ein Scharlatan.«
    Die Antwort der Menge bestand aus einem halbherzigen Murren. Die Frau mit dem harten Mund war es, die den Bann brach. Sie spuckte aus – und dann gebrauchte sie einen vulgären Jargonausdruck.
    »Ach, Scheiße!« sagte sie. »Es ist doch immer der gleiche Schwindel. Also, was mich angeht, ich habe was Besseres zu tun, als hier herumzustehen.«
    Für die, die das hören konnten, war das das Signal, nach einem Vorwand für den Rückzug zu suchen.
    »So ist es!« bekräftigte ein breitschultriger Mann in einem orangefarbenen Overall. »Auf den Professor können wir nun ja doch nicht mehr zählen.«
    Und ein junges Mädchen ließ sich vernehmen: »Wer hätte das gedacht – daß er so mir nichts, dir nichts vor aller Augen tot umfällt? Ich hätte doch glatt die Hand für ihn ins Feuer gehalten – und jetzt frage ich mich: Wozu habe ich mich überhaupt impfen lassen?«
    Die Masse Mensch bröckelte zusehends auseinander. »Betrug!« sagte eine andere Frau. »Aber das ist schließlich doch nichts Neues …«
    Die Menge begann sich aufzulösen. Die TABs behinderten den Abzug nicht. Sie hatten sich in mehrere Gruppen aufgeteilt, und während jeweils ein Dutzend das Astropol und den Turm belagerten, fuhren die anderen fort, nach versprengten Weißkitteln zu suchen. Lieutenant Mobuto ließ die Pistole fallen, sprang von der Programmzentrale und kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu.
    »Ich möchte wetten, Sir, ich habe Sie neulich ganz schön in Verlegenheit gebracht.«
    Wir preßten einander die Hände.
    Lieutenant Mobutos Blick streifte Grahams sterbliche Überreste, und ich spürte, wie ihm eine Zentnerlast vom Herzen fiel.
    »Und noch etwas anderes möchte ich wetten, Sir: Unser Professor hat bis zuletzt an sein verdammtes Serum geglaubt.« Lieutenant Mobutos Stimme wurde brüchig. »Wie ich auch.«
    Dann fiel ihm Bellinda um den Hals, und Lieutenant Mobuto bekam keine Luft mehr.
    »Sie haben daran geglaubt?«
    Lieutenant Mobuto keuchte.
    »Ich fürchte, wir alle haben daran geglaubt – ob wir nun dafür waren oder dagegen.«
    Ich nickte stumm. So war es. Man wurde älter, aber noch immer lernte man dazu. Lieutenant Wronski sah sich um. »Wo, um Himmels willen, steckt der Pater?«
    Ich brauchte es ihm nicht zu sagen. Die Glocken der Magdalenen-Kirche hatten begonnen zu läuten. Nie war ein Glockenhall voller gewesen, nie reiner, nie schöner. Der tödliche Spuk war vorbei.

14.
    Eine Woche später nahm ich Abschied von Astropolis. Vor dem Einstieg zum Raumkutter war das Musikkorps der Gendarmerie aufgezogen und spielte:
    Muß ich denn,
muß ich denn
zum Städtele hinaus …
    Präsident Wilson sprach ein paar viel zu pathetische Worte, und Major Bold stand stramm und legte die Hand an die Mütze. Danach ging ich die Reihen ab und drückte die Hände.
    Es mochten Hände darunter sein, die mich noch vor wenigen Tagen am liebsten in Stücke gerissen hätten. So war es, und so würde es immer wieder sein. Die Menschen verfallen in Irrtümer, aber tief in ihnen schlummert doch ein Gefühl für die Wahrheit. Über Schuld und Unschuld zu urteilen – das war nicht meine Aufgabe.
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