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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Autoren: Dave Eggers
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eine einzige Frau haben können – mein Vater hatte sechs –, und er sprach über Rolltreppen, Sanitäranlagen und wichtige Gesetze des Landes, aber er bereitete uns nicht darauf vor, dass mir amerikanische Teenager sagen würden, ich solle zurück nach Afrika gehen. Als das zum ersten Mal passierte, saß ich in einem Bus.
    Einige Monate nach meiner Ankunft wagten wir uns allmählich aus der Wohnung, zum Teil nur, weil wir Geld für lediglich drei Monate bekommen hatten und uns jetzt Arbeit suchen mussten. Das war im Januar 2002, und ich arbeitete bei Best Buy im Lager. Um acht Uhr abends war ich auf dem Nachhauseweg und schon dreimal umgestiegen (der Job war nichts von Dauer, weil ich für die achtzehn Meilen immer neunzig Minuten brauchte). Aber an dem Tag war ich ziemlich zufrieden. Ich verdiente 8,50 Dollar die Stunde, und außer mir arbeiteten noch zwei andere Sudanesen im Lager von Best Buy, wo wir Plasmafernseher und Spülmaschinen schleppten. Ich war müde und auf dem Heimweg und freute mich darauf, mir ein Video anzuschauen, das unter den Lost Boys in Atlanta die Runde machte. Irgendwer hatte vor Kurzem in Kansas City die Hochzeit eines bekannten Sudanesen mit einer Sudanesin gefilmt, die ich in Kakuma kennengelernt hatte. Kurz vor meiner Haltestelle sprachen mich zwei afroamerikanische Teenager an.
    »He, du Freak«, sagte einer der Jungen zu mir. »Wo bist du her?« Ich drehte mich um und erwiderte, dass ich aus dem Sudan stammte. Das ließ ihn stutzen. Der Sudan ist nicht sehr bekannt oder war es zumindest nicht, bis der Krieg, den die Islamisten uns vor zwanzig Jahren bescherten, mit seinen Stellvertreterarmeen und seinen zügellosen Milizen im Jahr 2003 nach Darfur kam.
    »Aha«, sagte der Teenager, neigte den Kopf und taxierte mich. »Dann bist du also einer von diesen Afrikanern, die uns verkauft haben.« Er redete eine Zeit lang in dieser Art weiter, bis klar wurde, dass er meinte, ich sei für die Versklavung seiner Vorfahren verantwortlich. Sie stiegen mit mir aus und verfolgten mich einen Häuserblock weit, riefen irgendwas hinter mir her und rieten mir erneut, ich solle doch zurück nach Afrika gehen. Dieser Vorschlag ist auch Achor Achor schon unterbreitet worden, und jetzt haben meine beiden Gäste ihn ausgesprochen. Gerade eben hat Puder mich nicht ohne Mitgefühl angesehen und gefragt: »Mann, wieso bist du überhaupt hier? Wolltest wohl Anzüge tragen und so tun, als wärst du so’n gebildeter Schnösel, was? Hast du nicht gewusst, dass die dich hier drankriegen?«
    Ich habe zwar eine schlechte Meinung von den Teenagern, die mich belästigten, aber ich stehe derlei Erfahrungen toleranter gegenüber als einige meiner sudanesischen Landsleute. Es ist erschreckend, welche Vorurteile Afrikaner über Afroamerikaner entwickeln. Wir sehen uns amerikanische Filme an, und wir kommen mit der Annahme in dieses Land, Afroamerikaner seien Drogendealer und Bankräuber. Die sudanesischen Stammesältesten in Kakuma erklärten uns unmissverständlich, wir sollten uns von Afroamerikanern fernhalten, vor allem von den Frauen. Was würden sie wohl sagen, wenn sie wüssten, dass der erste und wichtigste Mensch, der uns hier in Atlanta beistand, eine Afroamerikanerin war, die nichts anderes wollte als uns mit anderen hilfsbereiten Leuten zusammenzubringen. Dabei sollte ich erwähnen, dass auch uns diese Hilfe verwirrte: In mancherlei Hinsicht betrachteten wir sie als unser gutes Recht, während wir sie zugleich für andere, die ebenso darauf angewiesen waren, infrage stellten. Wenn wir in Atlanta Arbeitslose sahen, Obdachlose oder junge Männer, die sich an Straßenecken oder in Autos betranken, sagten wir: »Sucht euch Arbeit! Ihr habt Hände, also arbeitet!« Aber das war, ehe wir selbst auf Jobsuche gingen, und ganz sicher ehe uns klar wurde, dass die Arbeit bei Best Buy uns keineswegs unserem Ziel näher brachte, aufs College zu gehen und etwas Anständiges zu werden.
    Als wir auf dem John F. Kennedy International Airport landeten, versprach man uns, drei Monate lang für unseren Lebensunterhalt aufzukommen. Ich wurde nach Atlanta geflogen, bekam eine vorläufige Green Card und eine Krankenversicherung und erhielt vom International Rescue Committee genug Geld, um meine Miete exakt drei Monate lang bezahlen zu können. Meine 8,50 Dollar die Stunde bei Best Buy reichten nicht. In jenem ersten Herbst nahm ich noch einen zweiten Job an, und zwar in einem Laden für Weihnachtsartikel, der im November aufmachte
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