Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe
Autoren: Dick Francis
Vom Netzwerk:
gestorben …
vor nicht allzu langer Zeit. Ich weiß, wie es ist … Es tut mir so …
entsetzlich leid.«
    Er sah mich ausdruckslos an und kehrte zu den
anderen zurück, um weiter auf die Abschirmung zu starren, und ich fühlte mich
überflüssig, minderwertig und übermannt von Mitleid.
    Der Transporter hatte um kurz vor halb zwei
zugeschlagen – es war fünf durch, ehe die Ermittlungsbeamten jemand weglassen
wollten. Schließlich wurde dann erklärt, daß alle gehen könnten, daß aber jeder
Wagen am Tor anzuhalten habe, damit die Insassen ihre Namen angeben könnten.
    Müde, hungrig, zerzaust, viele mit Wundverbänden,
kletterten die Gäste, die so erwartungsvoll den Hügel heruntergeströmt waren,
langsam und schweigend wieder hinauf. Wie Flüchtlinge, dachte ich. Ein Exodus.
Man konnte die Motoren im Chor starten hören und die ersten Bewegungen der
Räder sehen.
    Ein Mann faßte mich am Arm: der Tunnelbaukollege.
Ein hochgewachsener, ergrauender Mann mit intelligenten Augen.
    »Wie ist Ihr Name?« fragte er.
    »Tony Beach.«
    »Ich heiße McGregor. Gerard McGregor.« Er sprach
das G von Gerard weich aus wie ein J, in einer Mundart, die entfernt, aber
erkennbar schottisch klang. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte er. Er streckte
die Hand aus, und ich ergriff sie.
    Wir lächelten uns im Bewußtsein der gemeinsamen Erfahrung
leise an; dann wandte er sich ab, legte den Arm um die Schultern einer
gutaussehenden Frau an seiner Seite, und ich beobachtete, wie sie sich zu dem
Tor in den Rosen hindurchschlängelten. Angenehmer Mensch, dachte ich; und das
war alles.
    Ich ging ins Haus, um festzustellen, ob ich für
Flora noch irgend etwas tun könnte, ehe ich fuhr, und stieß auf ein
Schlachtfeld anderer Art. In sämtlichen unteren, jetzt leeren Zimmern sah es
aus, als hätte eine ganze Armee dort kampiert, was ja in gewisser Weise zutraf.
Jede einzelne Tasse und Untertasse, jedes Glas mußte in die Pflicht genommen
worden sein. Sämtliche Flaschen auf dem Getränketablett waren entkorkt und
leer. Die Aschenbecher überfüllt. Essensreste auf den Tellern. Plattgedrückte
Kissen.
    In der Küche hatten die Gäste wie ein
Heuschreckenschwarm alles nur Greifbare verputzt. Leere Suppendosen übersäten
die Anrichte, Eierschalen lagen im Spülstein, ein abgenagtes Hähnchen,
geplünderte, zerknüllte Keks- und Salzgebäckschachteln. Alles Eßbare war aus
dem Kühlschrank verschwunden, und schmutzige Kochtöpfe standen auf dem Herd.
    Ein leiser Ausruf kam von der Tür her, und als ich
mich umdrehte, sah ich Flora dastehen, ihr Gesicht ernst und alt über dem
verknitterten roten Kleid. Ich wies mit einer frustrierten Geste auf das
Durcheinander, doch sie betrachtete es ungerührt.
    »Sie mußten was essen«, meinte sie. »Es macht
nichts.«
    »Ich werde abwaschen.«
    »Nein. Lassen Sie. Das hat Zeit bis morgen.« Sie
kam in das Zimmer und setzte sich müde auf einen der Stühle. »Das spielt
einfach keine Rolle. Ich habe ihnen gesagt, sie sollten sich bedienen.«
    »Sie hätten hinterher aufräumen können.«
    »Da sollten Sie die Rennwelt doch besser kennen.«
    »Gibt es denn sonst etwas, das ich tun kann?«
    »Nein, nichts.« Sie seufzte tief. »Wissen Sie, wie
viele von ihnen tot sind?« Ihre Stimme war leblos, ausgelaugt von zuviel
Grauen.
    Ich schüttelte den Kopf. »Der Scheich und einer von
seinen Leuten. Dann Larry Trent. Und eine Kellnerin, die Frau eines Ihrer
Stallburschen, glaube ich. Noch einige andere. Ich weiß nicht, wer.«
    »Doch nicht Janey«, sagte Flora bestürzt.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Jung und hübsch. Hat im Sommer Tom Wickens geheiratet.
Nicht sie!«
    »Ich glaube doch.«
    »O je.« Flora wurde fast noch blasser. »Der Scheich
ist mir gleichgültig. Das hört sich vielleicht schlimm an, und wir werden die
Pferde verlieren, aber von ihm weiß ich es seit Stunden, und es kümmert mich
eben nicht. Aber Janey …«
    »Ich glaube, Sie könnten Tom Wickens beistehen«, sagte ich.
    Einen Augenblick starrte sie mich an, dann erhob
sie sich und trat hinaus in den Garten. Durch das Fenster sah ich, wie sie zu
dem Mann im T-Shirt ging und die Arme um ihn legte. Er drehte sich um und
erwiderte verzweifelt die Umarmung, und flüchtig überlegte ich, wer von ihnen
sich wohl am meisten getröstet fühlte.
    Ich warf den gröbsten Abfall in den Mülleimer, ließ
aber den Rest stehen, wie sie es gesagt hatte. Dann ging ich hinaus zum
Lieferwagen, um nach Hause zu fahren, und fand einen sehr jungen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher