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Weihnachtsglitzern: Roman (German Edition)

Weihnachtsglitzern: Roman (German Edition)

Titel: Weihnachtsglitzern: Roman (German Edition)
Autoren: Mary Kay Andrews
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Greyhound-Busstation nachsehen.«
    Er bog in Richtung Westen auf den Martin Luther King Boulevard ab und fuhr zum Busbahnhof.
    »Paula ist nicht einmal sechzig, aber sie sieht genauso alt aus wie meine Mutter oder sogar noch älter. Und die ist zweiundsiebzig«, stellte ich fest.
    »Früher sah meine Mutter echt klasse aus«, sagte Daniel. »In einem alten Fotoalbum gab es ein Bild von ihr, wie sie im Badeanzug am Strand steht, direkt am Wasser. Ich dachte immer, das Mädchen auf dem Bild wäre irgendein Filmstar, bis Tante Lucy mir erklärte, dass es … Paula ist.«
    Beim Busbahnhof hielten wir auf dem Parkplatz und spähten in das hell erleuchtete Panoramafenster. Wir sahen ein paar Leute herumstehen, und ein Hausmeister schob eine Bohnermaschine vor sich her. Ehe Daniel protestieren konnte, war ich aus dem Wagen gesprungen und lief hinein.
    Keine fünf Minuten später war ich wieder zurück, durchnässt und vor Kälte zitternd.
    »Kein Glück«, sagte ich und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. »Heute Nacht fährt kein Bus mehr nach Jacksonville. Und der letzte ist um acht abgefahren.«
    Daniel drehte die Heizung hoch und fuhr los. »Das bringt doch nichts. Ich bringe dich nach Hause, ehe du dir noch eine Lungenentzündung holst.«
    Ich wagte nicht, ihn darauf hinzuweisen, dass seine Mutter bei diesem Wetter allein draußen war, mit nichts Wärmerem bekleidet als einem mottenzerfressenen Pullover.
    »Sie war fast noch ein Kind, als sie dich bekommen hat«, sagte ich. »Gerade mal zwanzig. Und nachdem dein Dad sie verlassen hat, war sie plötzlich ohne jede Vorwarnung eine alleinerziehende Mutter. Mit drei kleinen Jungs, um die sie sich kümmern musste.«
    »Viele Leute ziehen ihre Kinder allein groß, auch wenn sie jünger sind«, sagte Daniel. »Sie lassen ihre Kinder nicht im Stich, wenn sie einen neuen Partner finden.«
    »Was hast du gemacht, als du Anfang zwanzig warst?«, fragte ich.
    Er schnaubte. »Das ist etwas anderes. Ich war bei den Marines. Ich habe gefeiert und tierisch einen draufgemacht, wie jeder andere Kerl, den ich kannte.«
    »Und dann stell dir mal vor, wie Paulas Leben aussah«, drängte ich ihn. »Gerade aus dem Teenageralter raus, steht sie da mit drei kleinen Jungs. Sie arbeitet in der Zuckerfabrik, und dann lernt sie einen redegewandten Boss kennen, der ihr Herz im Sturm erobert …«
    Er starrte mich finster an. »Warum führen wir diese Diskussion? Du weißt nichts über sie. Außerdem hat sie es selbst gesagt. Sie war selbstsüchtig und feige.«
    »Es ist Weihnachten«, sagte ich, um das Thema zu wechseln. Als wir um den Platz an der Cathedral of St. John’s the Baptist fuhren, sahen wir die Leute aus der Kirche strömen, die Schirme aufgespannt wie ein Wald aus Pilzen. »Ich hatte Mama versprochen, dieses Jahr mit ihr zur Messe zu gehen.«
    »War sie sauer, dass du nicht mitgekommen bist?«, fragte er.
    »Nein. Ich glaube, als das Dinner völlig aus dem Ruder lief, hat sie eingesehen, dass ich nirgendwo mehr hingehe. Sie war vielleicht enttäuscht, aber nicht wütend.«
    »Sie hat dir keine Schuldgefühle eingeredet?«
    Ich lächelte. »Na ja, vielleicht. Ein wenig.«
    Wir waren jetzt in der Charlton Street, und ich stellte erfreut fest, dass der blaue Schein meines Schaufensters von der regennassen Straße vor dem Laden reflektiert wurde.
    »Hey«, sagte ich plötzlich. »Ich habe eine Idee.«
    Wir parkten am Bordstein und gingen hinüber zum Laden. Da hätte ich auch schon vorher drauf kommen können. Im Regen standen wir da und schauten Paula Gambrell an, die tief und fest im Bett im Schaufenster schlief.
    Daniel zog seine Jacke aus und hielt sie mir über den Kopf, um mich von den ärgsten Regenböen zu schützen.
    »Sie sieht überhaupt nicht böse aus«, stellte ich fest.
    »Nicht einmal wie sechzig«, sagte er. »Aber das Leben hat ihr ganz schön übel mitgespielt.«
    Im blassen Licht des Schaufensters wirkte Paulas Haut dunkel und ledrig, ihr kurz geschnittenes Haar sah auf dem weißen Bettzeug beinahe silbrig aus.
    »Sie ist viel kleiner, als ich sie in Erinnerung hatte«, sagte er. »Und ihr Haar! Sieh nur, wie grau es ist. Früher war es rabenschwarz. Sie trug es ganz lang, fast bis zur Hüfte.« Er schüttelte den Kopf, und Regentropfen spritzten auf meine Wange. »Sie ist überhaupt nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Bevor er ins Gefängnis kam, war Hoyt Gambrell ein reicher Mann. Ich hatte mir immer ausgemalt, ihr Leben bestünde aus Golfstunden und
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