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Weg mit den Pillen

Weg mit den Pillen

Titel: Weg mit den Pillen
Autoren: Harald Walach
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Erde vor der Spreebrücke gelandet sind, dann müssten wir doch allen Ernstes denken, wir seien in der Schweiz. Außer, ja außer wir sind ein bisschen klüger und treten zwei Schritte nach links oder rechts, oder der Wind fängt stärker an zu wehen. Dann würden wir sehen: Aha, Schweizer und deutsche Fahnen. Was bedeutet das?
    Nur wenn wir politisch naiv wären, würden wir denken, die Schweiz habe sich Deutschland angeschlossen oder umgekehrt. Wenn wir als Außerirdische ein Konzept davon hätten, dass es Botschaften anderer Länder gibt und diese je ihre Landesflaggen hissen, dann hätten wir das Rätsel schnell gelöst. Wenn wir dieses
Konzept nicht haben, dann haben wir ein Problem. In der Wissenschaft sagt man für Problem: »Anomalie«.
    Wir sehen: Manchmal ist es gut, ein paar Schritte zur Seite zu treten. Dann sieht man Phänomene, die man sonst nicht sehen würde. Wenn man aber zur Seite tritt und solche Phänomene sieht, bekommt man oft Probleme. Denn dann sieht man auch Dinge, die nicht mit dem übereinstimmen, was man erwartet, oder die beim derzeitigen Wissensstand als »Anomalie« bezeichnet werden müssen. Der Herzschlag war, wenn man ihn kurz vor Harveys Zeit gehört hat, eine solche Anomalie.
    Damit kann man unterschiedlich umgehen. Das hängt ein wenig vom persönlichen Naturell ab. Unsere Außerirdischen könnten sich beispielsweise sagen: »Komisch, Schweizer Fahne und deutsche Fahnen zusammen? Vielleicht ist unser Flaggenbuch nicht vollständig?« So gehen die meisten Wissenschaftler mit Anomalien um. Sie nehmen sie zur Kenntnis, zucken mit den Schultern und machen weiter. Harvey hat die Anomalie des Herzschlags dagegen ernst genommen. Er hat sich vermutlich überlegt: Wenn das, was ich höre, das Herz ist, dann muss es sich bewegen. Wenn es sich bewegt, dann ist es aktiv und nicht einfach passiv. Wenn es aktiv ist, dann kann es nicht nur ein passiver, lautloser Erwärmer sein, sondern dann muss es noch eine andere Funktion haben. Und die muss ich finden.
    Wir sehen: Anomalien können manchmal die Funktion haben, uns auf neue, noch nicht bekannte Eigenschaften oder Zusammenhänge hinzuweisen. Das funktioniert aber nur, wenn wir sie wirklich ernst nehmen und der Sache nachgehen. Wissenschaft ist methodisch geleitete, systematische Neugier, die solchen Anomalien auf den Grund gehen will. Um Neues zu finden, war es immer schon eine beliebte und weiterführende Methode sich zu fragen: Was wäre, wenn ich diese Anomalie ernst nehmen würde? Was würde das für unsere Theorie und unser Handeln bedeuten?
    Wir werden das im Folgenden tun und – vor allem von Anomalien ausgehend – fragen: Was bedeutet dieser oder jener Befund für unser Verständnis vom Menschen, vom Organismus, für die Medizin,
ja für die Gesellschaft und die Gesundheitspolitik? Bevor wir zur Sache kommen, will ich jedoch noch ein häufiges Missverständnis aufklären und auf eine wichtige Unterscheidung hinweisen:
    Oft hört man, vor allem von Autoren, die der herkömmlichen Denkschulung verpflichtet sind, dies und jenes sei »nicht wissenschaftlich«. Wenn man diese Aussage genauer überprüft, ist damit gemeint: »Dieser Befund ist eine Anomalie und passt nicht in unser gegenwärtiges Paradigma oder dazu, wie wir die Welt im Moment verstehen.« Und oftmals gehört auch noch, quasi als Nachsatz, dazu: »Deswegen gehört es aus unserem Weltverständnis getilgt; wir sollten es nicht mehr erwähnen, wir sollten es nicht mehr tun, wir sollten nicht mehr dafür bezahlen.« Solche Sätze hört man gerne von Kritikern der Homöopathie oder der Komplementärmedizin im weiteren Sinne. Doch Anomalien gehen nicht weg, auch wenn der Chef des Instituts für Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen das so beschließen.
    Zwei unterschiedliche Formen von Kontroversen
    Wir lernen daraus noch etwas anderes: Es ist extrem wichtig zu unterscheiden zwischen Kontroversen, die sich ergeben, weil innerhalb eines gewissen Denkmodells Fragen ungelöst sind oder unterschiedlich beantwortet werden, und solchen, die entstehen, weil das herrschende Denkmodell selbst , ein gültiges Paradigma, durch Anomalien infrage gestellt wird. Den Fall einer Debatte innerhalb eines Denkmodells hätten wir etwa dann, wenn sich Parisano und seine Freunde damals überlegt und darüber gestritten hätten, welche Temperatur das Blut im Gehirn habe – zum Beispiel 35, 36 oder 36,5 Grad Celsius
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