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Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Titel: Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)
Autoren: Egon Günther
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den Großeltern bleiben und eine Aufgabe übernehmen: Vor den Fenstern der verwaisten Wohnung soll er morgens die Rouleaus hochziehen und abends wieder herunterlassen. Der gewiefte Kriminalbeamte glaubt, dass davon Einbrecher abgehalten werden. Außerdem muss die Wohnung regelmäßig gelüftet werden, nebst dem unvermeidlichen Gummibaum sind ab und an die Kakteen zu wässern und die brav blühenden Usambaraveilchen.
    Wenn die Katze aus dem Haus ist, dann tanzen die Mäuse
. Auch Cornelius hat ein paar Redensarten auf Lager. Er trommelt schnell ein paar Freunde zusammen und gibt beiläufig in einem Schwabinger Straßencafé Bescheid. Ein Junkiepärchen aus Hamburg ist heilfroh, für zwei Wochen aller Sorgen um Kost und Logis ledig zu sein; die beiden nächtigen im Ehebett, zum Glück sind die Küchenschränke bis obenhin mit gehorteten Lebensmitteln aus dem Großmarkt gefüllt. Seine Freunde proben das künftige Zusammenleben, sie organisieren einen Plattenspieler und einen VW-Käfer, mit dem sie übers Land fahren und Mädchen aus den Dörfern am Hochufer in die sturmfreie Bude einladen. Tatsächlich folgen einige der Einladung. Im Handumdrehen ist eine Tag und Nacht währende Fete in Gang. Scheeläugig beobachten Nachbarn hinter der Deckung halb zugezogener Vorhänge das ungewohnte Treiben in der Polizistenwohnung, hüten sich aber, dagegen einzuschreiten.
    In der gegenüberliegenden Parterrewohnung lebt seit kurzem eine alleinstehende Frau mit zwei kleinen Kindern. Es ist noch nicht lange her, dass sich der Vater der Kinder vor einen fahrenden Zug geworfen hat. Ein Großvater ist vor drei Jahrzehnten Häftling in Dachau gewesen. Cornelius ist der jungen Witwe schon einmal begegnet, bei einer von orthodoxen kommunistischen Gruppen im Hinterzimmer einer Gaststätte ausgerichteten Veranstaltung über die planvolle Faschisierung der USA. Wie es aussieht, gehört sie der neu gegründeten Deutschen Kommunistischen Partei an, die von ihm und seinen Genossen als »revisionistisch« gebrandmarkt wird. Mit sichtlicher Genugtuung steckte ihm Tante Carla, die neue, stramm links eingestellte Nachbarin würde seinen Umgang nicht gutheißen, die Freunde, mit denen er sich in letzter Zeit ständig abgebe, seien ihrer Meinung nach gar keine echten Linken, sondern nur abenteuerliche Elemente, Gammler und Haschbrüder, Gesindel halt, Kommunisten sähen nämlich ganz anders aus, viel ordentlicher.
    Aber auch die neue, um seine Gesinnung besorgte Nachbarin hält sich bedeckt und lässt dem rauschenden Fest seinen ungestörten Lauf. Schade nur, dass Cornelius es am Abend verlassen muss, um ein paar Straßen weiter bei den ahnungslosen Großeltern zu nächtigen. Mit Freuden hält er dafür seinen Freunden den Rücken frei, das ist ihm die süße Rache wert.
    Tagsüber streunen die Feiernden im Viertel herum, verschönern die zum Wahlkampf aufgestellten Plakatständer der politischen Parteien mit Parolen für den Klassenkampf. Die Gegend gehört zum Revier einer berüchtigten Rockerbande. Bei einer zufälligen Begegnung mit den Lederjacken holen sie sich blutige Nasen, nicht zuletzt deswegen, weil Cornelius, noch bevor es Dresche hagelt, den Rockern blauäugig zuruft:
Stopp, wir alle sind doch Proletarier
, was die auf eine Schlägerei erpichten Idioten nicht als ein Kompliment, sondern vielmehr als eine ruchlose Beleidigung auffassen.
    Nachdem die Rockerblase ihr Revier gründlich markiert und von ihnen abgelassen hat, zählen die Freunde ihre Blessuren: Blaue Flecken und aufgeplatzte Lippen lassen sich verschmerzen, die Zähne sind zum Glück heil geblieben, keine einzige Rippe und kein Nasenbein wurden gebrochen, die Sache ist durchweg glimpflich ausgegangen, zumal die Schläger nur ihre Fäuste gebraucht haben und nicht ihre Springmesser und Fahrradketten. Allein der wegen seiner latenten Fallsucht immer einen Schwerbeschädigtenausweis bei sich tragende Tankred tobt und brüllt. Wie leicht hätte er unter den auf ihn einprasselnden Schlägen sterben können! Unversöhnlich besteht er darauf, das nächstgelegene Polizeirevier aufzusuchen und die Gewalttäter anzuzeigen. In seiner schäumenden Wut hat er ganz vergessen, dass man der Polizei nicht trauen darf, dass sie nicht, wie man ihnen früher weisgemacht hat, ein Freund und Helfer, sondern ein schikanöser Büttel des Kapitals ist, dem man besser aus dem Weg geht. Cornelius könnte ein langes, ermüdendes Lied davon singen. Was also tun? Der von dem jähen Gewaltausbruch
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